Heimat Mars: Roman (German Edition)
rein! Holt sie rein!«, kreischte sie und drängte sich durch die Reihen ihrer Handlanger.
Die Wächter standen still wie Statuen. Mir kam es so vor, als seien bereits Minuten vergangen. Dann packten sie Gretyl und zerrten sie so schnell sie konnten zur Luftschleuse. Gretyl wehrte sich gegen die Umklammerung. Ich sah, wie ihr Gesicht sich rötete: Die direkt unter der Haut liegenden Blutgefäße waren geplatzt, als das Blutplasma zu sieden begann. Es war die Rosenhaut, die aus Sauerstoffmangel erblüht.
Gretyl öffnete die Augen und langte mit einer Hand nach ihrem Kinn. Sie zwang sich selbst den Kiefer auseinander. Der Atem strömte aus ihren Lungen, in der unbewegten Luft gefror die Feuchtigkeit zu einer Wolke.
»Sie haben die Gleise in die Luft gesprengt«, rief jemand.
»Schafft sie REIN!«
Mit Augen, die wie mit Raureif überzogen waren, starrte Gretyl in den Himmel.
Der Wächter vor mir riss mich an den Fesseln nach vorne, so dass ich in den Dreck fiel. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle er mich treten. Ich blickte hoch und sah unter dem Visier seines Helmes seine zusammengekniffenen, wütenden Augen, den aufgesperrten Mund, das schlaffe Gesicht. Er hielt inne und blinzelte. Offensichtlich wartete er auf weitere Anweisungen.
Ich wandte den Kopf, um zu sehen, wie man mit meinen Kampfgefährten umging. Mehrere lagen im Dreck. Die Wächter stießen uns absichtlich zu Boden und stellten ihre Stiefel auf unseren Rücken. Als alle neunzehn niedergestreckt dalagen, traten die Wächter zurück. Die Schleusentür öffnete sich wieder. Jemand kam heraus, aber es war nicht Connor.
»Die sind alle festgenommen«, sagte eine Männerstimme über Funk. »Schafft sie rein. Macht das Zeug ab, und bringt sie in eines der Wohnheime. Entlaust sie.«
Auf dem Mars hatte es nie Läuse gegeben.
Sie trennten uns rasch. Drei Wachen zerrten fünf von uns von der Luftschleuse weg und trieben uns durch kalte Tunnel zu den alten Wohnheimen, die kaum noch benutzt wurden. Die neuen Wohnheime waren mit größerem, modernerem Komfort ausgestattet. Diese hier waren nur noch als Notunterkünfte oder als Reserve für den Fall gedacht, dass die Studentenzahlen gewaltig in die Höhe schnellten.
»Könnt ihr euch das Zeug selbst abmachen?«, fragte die größte der Wachen und deutete auf unseren Hautschutz. Es war eine Frau. Im gedämpften Licht des Flurs nahm sie ihren Helm ab. Ihre Mundwinkel wiesen nach unten, ihr Blick wirkte deprimiert.
»Was meint er denn mit dem Entlausen?«, fragte einer der anderen Wächter, ein junger, muskulöser Mann. Seine Gesichtszüge und sein Akzent wirkten westindisch.
Die Wächter waren allesamt Neulinge auf dem Mars. Aus gutem Grund hatte man gerade sie ausgewählt. Der neue vereinigte Staat des Mars würde alles für sie sein: ihr Geldgeber, ihre BG und ihre Familie.
»Ihr könnt uns hier nicht einfach festhalten«, sagte ich. »Was ist mit Gretyl?« Meine vier Gefährten drehten sich zur Wache um, gestikulierten und brüllten. Wir alle forderten unsere Rechte ein: das Recht, jemanden zu benachrichtigen; das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen; das Recht, in die Freiheit entlassen zu werden.
Die Sache entwickelte sich zur offenen Rebellion. Bis der dritte Wächter eine Pistole aus seiner Ausrüstung zog. Er war der Kleinste, ein dünner Mann mit glattem, kurzgeschorenen braunen Haar und den perfekten Gesichtszügen eines Heiligen. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und wirkten sehr kalt. Der hier sympathisiert mit den Zentralisten, dachte ich. Die anderen waren nur angeheuerte Hilfskräfte.
»Hört sofort auf!«, schrie er uns an.
»Ihr habt Gretyl verletzt!«, schrie ich zurück. »Wir müssen wissen, was mit ihr ist!«
»Sabotage ist Hochverrat. Wir könnten euch in Notwehr erschießen.«
Er hob die Pistole. Wir alle, selbst die beiden anderen Wachen, wichen zurück.
»Das wäre nicht besonders geschickt«, sagte ich.
»Nicht besonders geschickt für euch!« Der dünne Kerl verzog den Mund zu einem kalten, dünnen Lächeln und trieb uns den Gang hinunter.
Wir kamen in ein kahles Doppelzimmer und ließen uns sofort auf der nicht bezogenen Pritsche und den Stühlen nieder – auch das eine kleine Geste hilflosen Protestes.
»Ihr werdet eine ganze Weile hierbleiben. Macht es euch also bequem.«
Es gefiel mir gar nicht, wie er mit der Pistole herumfuchtelte, ich wollte ihn nicht noch mehr provozieren. Wir schälten uns den Hautschutz vom Leib – es war wirklich eine Wohltat,
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