Heimat Mars: Roman (German Edition)
Gretyl.
Der Posten hob sein Gewehr, eine schnittige automatische Waffe mit langem Lauf. Ausgerüstet für Fluggeschosse. In mir mischten sich Wut und Angst. Dauble und Connor hatten offensichtlich den Verstand verloren. Noch nie hatte die Polizei des Mars auf Studenten geschossen. In den dreiundfünfzig Marsjahren seit der ersten Besiedlung war so etwas noch nie dagewesen. Hatten sie denn nie vom Platz des Himmlischen Friedens oder vom State Kent gehört?
»Baller nur los«, sagte Gretyl. »Dann bist du im Dreierbund sofort in allen Nachrichten, weil du Studenten der Bodenkunde auf einer Exkursion erschossen hast. Das wird deiner Karriere gut tun! Wird dich auch bei unseren Familien sehr beliebt machen. Welche Art von Arbeit hättest du denn gerne, Karnickel?«
Aus unseren Empfängern quäkten die verschlüsselten Meldungen, die der Posten an irgendwelche Stellen durchgab. Weiteres Gequäke folgte, als die Antworten bei ihm eintrafen.
Der Mann senkte das Gewehr und ging uns nach. »Seid ihr bewaffnet?«, wollte er wissen.
»Wo sollen Studenten denn Waffen herkriegen?«, fragte Gretyl. »Wer, zum Teufel, gibt dir eigentlich das Recht, uns einschüchtern zu wollen?«
»Hört mal, jetzt wird’s wirklich ernst. Ihr müsst euch sofort ausweisen.«
»Wir haben seinen Code geknackt«, sagte Sean. »Er hat die Anweisung, euch am Weitergehen zu hindern. Egal, mit welchen Mitteln.«
»Na großartig«, sagte Gretyl.
»Mit wem sprichst du da? Hör sofort auf, einen Code zu benutzen«, forderte der Wachposten.
»Vielleicht haben sie dich nur nicht eingeweiht, Karnickel«, frotzelte Gretyl.
Gretyls Kühnheit, ihre Gabe, ihn aufzuhalten und zu verwirren, überraschte mich. Vielleicht hatten Gretyl, Sean und einige andere sich doch auf die Situation vorbereitet, sich dafür ausgebildet. Ich bedauerte, dass ich selbst so wenig über Revolution wusste.
Das Wort traf mich wie ein leichter Stoß in den Rücken. Hier handelte es sich ja wirklich um eine Art Revolution. »Mein Gott«, sagte ich laut. Glücklicherweise war mein Sender nicht eingeschaltet.
»Was macht er jetzt?«, wollte Sean wissen.
»Er geht uns nach«, antwortete Gretyl. »Anscheinend will er nicht schießen.«
»Jedenfalls wohl nicht mit Fluggeschossen«, sagte Sean. » Das würde Schlagzeilen machen!« Unwillkürlich ergänzte ich im Geiste: S TUDENTEN VON F LUGGESCHOSSEN ZERFETZT .
Immer neue verschlüsselte Meldungen summten wie wütende Insekten in unseren Ohren.
Wir erklommen eine weitere Anhöhe. Der Posten blieb uns auf den Fersen. Dann entdeckten wir die niedrigen Universitätsgebäude. Die labyrinthischen Bauten erstreckten sich etwa einen Kilometer in nordöstlicher Richtung. Halbe Stockwerke überragten die Marsoberfläche, die übrigen zehn Etagen lagen unter dem Boden. Die Räume der Verwaltung befanden sich gleich neben dem Haupteingang über Tage und ganz nah bei der Bahnstation. Hinweisschilder zum Bahnhof waren an dünnen Pfosten angebracht, die eine weitere Anhöhe leicht überragten.
Seans Gruppen waren vermutlich schon dort.
Aus den Universitätsgebäuden kamen jetzt weitere Wachposten. Sie waren bewaffnet und trugen Schutzanzüge.
»Also gut«, sagte eine barsche Frauenstimme. »Sagt, was ihr vorhabt. Und danach verschwindet von hier, verdammt noch mal. Andernfalls nehmen wir euch fest.«
Gretyl trat vor – ein magerer kleiner roter Teufel mit schwarz maskiertem Kopf. »Wir wollen, dass uns die Rektorin Connor anhört. Wir sind Studenten, die man widerrechtlich relegiert hat. Man hat unsere Verträge schamlos gebrochen. Wir fordern …«
»Für was, zum Teufel, haltet ihr euch denn? Für einen Haufen wild gewordener Nagetiere?« Die Stimme der Frau machte mir angst. Sie klang so schrill, als würde sie gleich überschnappen, als habe sie etwas Drastisches vor. Ich konnte nicht erkennen, welche der Gestalten in den Anzügen da sprach, ob die Stimme überhaupt von draußen kam. »Ihr habt unbefugt Grund und Boden des Bezirks betreten. Ihr gottverdammten Reaktionäre solltet eigentlich wissen, was das heißt.«
»Darüber diskutiere ich hier nicht«, sagte Gretyl. »Wir verlangen, dass wir mit der Rektorin …«
»Du sprichst mit ihr, du blöde Zicke! Ich bin hier.« Die Gestalt, die ganz vorne stand, streckte einen Arm hoch und schwenkte die Faust, die in einem Handschuh steckte. »Und mir ist ganz und gar nicht danach, mit Eindringlingen und Reaktionären zu verhandeln.«
»Wir sind hier, weil wir eine Petition überbringen
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