Heimat Mars: Roman (German Edition)
»Was sollen wir denn sonst machen? Ehrenwerte marsianische Zurückhaltung an den Tag legen, uns auf unsere Farmen zurückziehen und als Regierungsmenschen A.D. kleineren Politikern Ratschläge erteilen?«
»Klingt doch prima«, sagte ich.
Ti Sandra schnalzte missbilligend. »Du hast dein Terrain abgesteckt. Du willst Charles Franklin auf den Fersen bleiben.«
Ich sah sie schockiert an.
»Ich meine natürlich dem, was er tut.«
Ich habe mich in meinem Leben nur selten über die Präsidentin geärgert, aber bei diesen Worten geriet mein Blut in Wallung.
»Das ist schließlich nicht irgendeine Sache. Wenn sie nicht richtig gesteuert wird, kann uns das die größten Probleme einbringen, Probleme, mit denen wir jahrelang zu tun haben werden.«
»Ich weiß«, lenkte Ti Sandra ein und hob beschwichtigend die Hände. »Mir graut davor, wenn ich nur daran denke. Und ich kann mir niemanden vorstellen, der besser als du geeignet wäre, das Projekt zu überwachen. Aber … wie kommst du auf die Idee, dass ein frischgebackener Haufen gewählter Regierungsvertreterinnen und -vertreter so weise sein wird?«
»Ich werde sie unterstützen.«
»Und wenn sie diese Unterstützung gar nicht wollen?«
Auf diesen Gedanken war ich noch gar nicht gekommen.
»Wahlen sind Glücksache«, sagte Ti Sandra. »Wir haben auf dem Mars noch gar nicht bewiesen, dass wir wissen, wie man’s macht. Die heikelste Zeit ist der Übergang.«
»Und der Übergang wird von Führern, die keine Macht abgeben wollen, gehemmt«, erinnerte ich sie.
»Und von Führern, die nicht wissen, wie man regiert, vermasselt«, gab sie zurück.
»Du willst, dass ich mit dir zusammen kandidiere?«
»Ich bin von dir abhängig«, antwortete sie. »Und … ich würde dir die Olympier als dein spezielles Aufgabengebiet zuteilen. Es wäre doch schade, so viel Geld für eine Erweiterung auszugeben und dann nur als Zaungast zuzuschauen.«
Ich dachte einen Augenblick darüber nach. An erster Stelle stand für mich nicht der Gedanke, Geschichte zu machen. Mir ging es darum, den Mars durch eine angsteinflößende Zeit zu bringen. Wenn ich auf Ti Sandras Angebot einging, würde ich noch mehr Zeit mit Ilya, weitere Jahre meines Privatlebens opfern müssen. Aber Ti Sandra hatte recht. Die meisten Kandidatinnen und Kandidaten waren nicht sonderlich beeindruckend. Wenigstens hatten Ti Sandra und ich ein bisschen Erfahrung.
Persönliche Erwägungen musste man zurückstellen. Wo konnte ich am besten nützen? Ich hätte mein Fachwissen gern weitergegeben, ohne mich dem nervenaufreibenden Stress des Regierungsamtes auszusetzen.
»Du siehst nicht gerade begeistert aus«, bemerkte Ti Sandra.
»Ich fühle mich elend«, antwortete ich. Und das war kaum übertrieben.
»Die Regenten, die am wenigstens Lust zum Regieren haben, sind die allerbesten«, behauptete Ti Sandra.
»Das glaube ich keine Sekunde«, sagte ich.
»Ist aber ein guter Slogan«, erwiderte sie. »Machst du nun mit?«
Ich dachte schweigend nach. Ti Sandra stand geduldig da, ein hoher, breiter Baum. Ihre Präsenz erfüllte den Raum. Inzwischen liebte ich Ti Sandra wie eine Mutter.
Ich nickte, und wir tauschten einen festen Händedruck.
Zweifellos war ich jetzt zur Politikerin geworden.
Der beste Ort, an dem man eine Erweiterung aussuchen, kaufen und installieren lassen konnte, war Shinktown. Ich beriet mich mit Charles darüber, welche marsianische Herstellung die beste sei und welches Niveau ich für meine Zwecke benötigen würde. »Irgendeine Erweiterung, die weniger ist als ein Mini-Denker«, schlug er vor, »aber auch mehr als ein LitVid-Programm. Die beste Erweiterung in dieser Kategorie ist eine, die Marcus Pribiloff entworfen hat. Die Urheberrechte hat die BG Wah Ming. Sie kostet zweihunderttausend Dreierbund-Dollar, aber ich kann dir einen Preisnachlass verschaffen.«
Ich fragte, warum er sich nie eine Erweiterung beschafft habe. »Ich bin nicht so vermessen zu behaupten, ich könne keine brauchen«, antwortete er, »aber für kreative Arbeit sind sie wirklich nicht unbedingt nützlich. Zu festgelegt und linear.«
Shinktown hatte sich in den vergangenen sechs Jahren nur wenig verändert. Immer noch herrschte hier die Atmosphäre billiger Unterhaltung und einer an Studenten ausgerichteten Gastronomie. Die Architektur verkörperte immer noch das Schlimmste, was der Mars zu bieten hatte. Aber im Südwesten war ein neues Viertel entstanden. Es bot Dienstleistungen für Studenten und Dozenten an, die in
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