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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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hast!«
    »Gar nicht schlecht für eine Person, die zuviel nachdenkt, hm?«
    Diane lachte. »Gar kein Vergleich zu den radikalen Studenten, die in den alten Zeiten gegen die Zentralisten gekämpft haben.«
    »Hast du dich verändert, Diane?«
    »Casseia, ich bin inzwischen so was von solide. Ich hab sogar im Verfassungsausschuss von Mariner Valley mitgearbeitet. Sind wir jetzt wirklich selbst Zentralisten geworden? Ist das möglich?«
    »Wir benutzen einen anderen Ausdruck, einverstanden?«
    »Und ich bin verheiratet. Nicht nur mit Brief und Siegel gebunden … es ist wirklich viel mehr als das. Ich bin zur BG Steinburg-Leschke übergewechselt. Ich bin zum Reformiertem Judentum übergetreten. Du wirst Joseph kennenlernen. Er ist ein ganz besonderer Mensch.«
    »Ilya wird dir auch gefallen. Die Dinge haben sich wirklich verändert, Diane.«
    Wir besprachen die Einzelheiten unseres Treffens und legten dann auf. Ich setzte mich in den einzigen Sessel des Zimmers – die Taschen waren schon gepackt und standen vor meinen Füßen – und dachte über die Natur von Zeit nach. Ich war noch nicht besonders alt, erst fünfzehn Marsjahre, aber wenn man Zeit als Kette denkwürdiger Ereignisse betrachtete, war ich uralt. Jedenfalls kam ich mir so vor.
    Mir gingen viele Definitionen von Zeit durch den Kopf: Zeit als Reflexion von Bewegung, als Schiedsrichterin des Wandels, als Übermittlerin und Verteilerin von Information. Zeit ist das, was übrigbleibt, wenn nichts geschieht. Zeit ist die Entfernung zwischen damals und heute. Zeit, die man aus einem Nebel bunter Gleichungen herauslösen und formen konnte. Zeit, die für masselose Teilchen nicht existierte. Zeit, die für solche Teilchen nur im ewigen Jetzt besteht (und das Universum wird dabei so flach und unmittelbar wie ein Stück Papier).
    In diesem Augenblick erkannte ich, was in mir vor sich ging: Die Erweiterung integrierte die Informationen, sie strukturierte Bereiche von Wissen und Fähigkeiten innerhalb meines Gehirns. Der Vorgang war ungefährlich – Milliarden von Menschen auf der Erde und Hunderttausende auf dem Mars hatten so etwas schon mitgemacht, manche, wie Orianna, sogar dutzendemal. Aber für mich war es ganz neu und einerseits beunruhigend, andererseits hypnotisch.
    Ich saß eine ganze Stunde lang in diesem Sessel im schäbigen kleinen Shinktown-Zimmer herum und grübelte nur über Bewegung und Gravitation. Ich fragte mich, warum der Druck auf eine Wand bedeutet, dass die Wand mit gleicher Kraft zurückdrückt. Ich machte mir Gedanken über Drehmoment und Drall und ihre Entsprechungen in linearem Impuls und Kraft. Fragte mich, wie sich ein Rad, das einer Kraft rechtwinklig zu seiner Achse ausgesetzt ist, bei Rotation und Nicht-Rotation verhält. Ich zerlegte physikalische Systeme in ihre Einzelheiten und verfolgte diese Einzelheiten durch verschiedene Stufen hindurch, spürte dabei den Veränderungen ihrer einfachsten Eigenschaften nach und analysierte, wie sich diese Veränderungen auf das größere System auswirkten. Während ich auf den Teppich starrte, der verschiedene Farben und Muster annehmen konnte, verfolgte ich in meiner inneren Vorstellung den Weg eines Photons durch eine transparente Faser. Ich sah, wie es langsamer wurde und Echos bildete. Ich sah alle dem Photon möglichen Pfade auf dem schließlich realen Pfad konvergieren – Aufsummierung von Möglichkeiten {14} . Ich sah, wie das Photon auf der anderen Seite der Faser mit optimierter Ökonomie von Energie und Bewegung herauskam – minimaler Aufwand in der kürzest möglichen Zeit.
    Das ganze kahle, trübselige Zimmer verwandelte sich in einen Nebel von Kräften, die so faszinierend waren, als finde hier eine Party mit laut redenden Menschen statt. Hinter der Fassade elektromagnetischer Wechselwirkungen – all dem, was ich berühren, sehen, riechen oder sonst wie mit meinen Sinnen erfassen konnte – lag eine grenzenlose Leere, viel reicher und fremdartiger als Materie und Energie. Ein Grund, auf dem mein Dasein so schwach aufgetragen war, dass es eine vernachlässigbare Größe darstellte … Und trotzdem sah ich und gab, indem ich sah, dem Ganzen Sinn und Gestalt.
    Ich kämpfte mich aus meinem Tagtraum, stand auf, nahm mein Gepäck und befahl der Tür, sich zu öffnen. Während ich den Gang hinunter lief, versuchte ich, die Flut der Erkenntnis einzudämmen.
    Ob Charles wohl die ganze Zeit auf diese Weise sah und dachte?
    Das Bundespresseamt hatte für mich drei Interview-Termine

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