Heimat Mars: Roman (German Edition)
begrüßen alle Formen des freien Handels. Aber wir dürfen uns nicht auf unangemessene Erwartungen oder Emotionen einlassen.«
Ihr blieben für die Antwort dreißig weitere Sekunden, die sie zur Erläuterung nutzte: »Der Mars ist eine reiche Wüste, in der überall verstreut Siedlungen eines zähen, liebenswerten Volkes liegen. Wir haben unsere Entwicklung als unabhängige Familien begonnen. Um des Überlebens willen haben wir zusammengearbeitet, vieles miteinander geteilt, miteinander Handel getrieben, um weiterzukommen. Ich glaube an diese natürliche Ordnung: an den guten Willen zwischen rauen, aber herzlichen Partnern, die einander ebenbürtig sind, die ihren Konkurrenten nicht böswillig schaden und die gemeinsamen Ressourcen mittels einer starken und fairen Leitung auch gemeinsam nutzen. Eine gute Regierung sorgt für Gleichgewicht und korrigiert die Fehler, die sich nicht von allein korrigieren. Eine marsianische Regierung wird dann erfolgreich arbeiten, wenn sie unsere größten Stärken bewahrt. Sie darf sie nicht amputieren, nur damit wir in irgendein größeres gedankliches Projekt hineinpassen, das in der realen Geschichte noch gar keinen Vorläufer hat.«
Rektor Frankel lehnte sich zu mir herüber: »Brillant formuliert und gut gegeben«, sagte er und nickte nachdrücklich. »Ich hoffe nur, dass sie nicht selbst daran glaubt.«
Marshalls Bild wandte sich Olson zu. »Die Interimsregierung von Präsidentin Erzul hat sich bereits als fähig erwie… erwie… errr… wiiii…«
Plötzlich erstarrte das Bild und fiel dann ganz aus. Die LitVid-Schirme rings um das Auditorium zeigten einen Strudel von Zeichen und wurden dunkel. Ein tiefes Brummen füllte den Saal, die Lautsprecheranlage rauschte und verstummte dann ebenfalls. Neben mir sprang Dandy auf, packte mich bei den Schultern und hob mich praktisch aus dem Sitz. Zwei Leibwächter und ein Roboter stürmten auf die Bühne und umringten Ti Sandra, ein weiterer Leibwächter stellte sich schützend vor Olson. Im Auditorium erlosch das Licht.
»Runter!«, flüsterte Dandy heiser. Ich kniete mich neben ihm hin. Im Auditorium waren jetzt besorgte Stimmen, vereinzelt auch Schreien und Gebrüll zu hören. Ehe ich die Situation überhaupt erfasst hatte, spürte ich die Angst in meinem Körper.
Dandy stieß meinen Hintern nach vorn und drängte mich – ich bewegte mich immer noch auf Händen und Knien – über den Fußboden. Er gab mir wie ein rüder Liebhaber von hinten Deckung, bis wir den Schutz eins Treppenhauses erreicht hatten. Ti Sandras Keuchen war neben mir zu hören. »Bist du da, Cassie?«, fragte sie.
»Ich bin hier«, antwortete ich.
»Ruhe!«, befahl Dandy.
Eine Taschenlampe flackerte auf. Ein Leibwächter hielt sie abgeschirmt in der Hand, während er die kleine Karte auf einer Metallplatte musterte, die unten am Treppengeländer angebracht war. Ti Sandras Chefwächterin, Patsy Di Vorno, eine junge Frau mit intelligentem Gesicht und unglaublichen Armen und Schultern, klatschte eine dicke weiße Paste wie Modellierton auf meinen Arm. Ich schrie leise auf, als die Paste sich rasch verteilte und meinen Rumpf, Hals und Kopf überzog, mein Haar erfasste und schmerzhaft daran zerrte. Allerdings blieben mir Löcher zum Sehen und Atmen. Di Vorno klatschte die Paste auch auf Ti Sandras Arme. Wir waren jetzt mit reagierendem Nano gepanzert. Der Panzer war intelligent und beweglich. Er konnte sich annähernde Geschosse aufspüren und uns mit muskelschneller Geschwindigkeit zu einer festen Kugel zusammenpressen. Jedes Schnellfeuergeschoss, das auf diesen Panzer traf, würde abprallen und abgelenkt werden. Dadurch stellten wir eine Gefahr für alle Menschen in unserer Umgebung dar.
Mit einigen knurrigen Worten wurden die Präsidentin und ich wie Frachtgut die Treppe hochgezerrt, gezogen und geschoben. In einer kleinen, kühlen und dunklen Abstellkammer stießen uns die Wächter gegen eine Wand neben der Eingangstür, so dass wir nach unten rutschten. Sie stellten ihre Taschenlampen auf volle Stärke und ließen die Lichtkegel über den Gang draußen gleiten. Verschlüsselte Funksprüche drangen wie das heimliche, halblaute Flüstern verängstigter Kinder durch die Wände.
Niemand war uns gefolgt. Vier Leibwächter und zwei Roboter richteten in dieser Kammer ein Sicherheitsquartier ein, befestigten schnellhaftende Sensoren an den Wänden und zückten ihre Waffen. Die Roboter waren viel schwerer bewaffnet, als ich vermutet hatte, sie zückten
Weitere Kostenlose Bücher