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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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ockerfarbenen Nebel. Von meinem Fensterplatz aus schaute ich nach draußen auf das Land und fragte mich, wo und wer ich eigentlich war.
    Charles hatte sich neben mich gesetzt, sagte aber, Gott sei Dank, nur wenig. Seitdem mein Vater mir so streng die Leviten gelesen hatte, hatte ich mich ausgebrannt oder noch schlimmer gefühlt. Die Tage der Untätigkeit – wir hatten nichts zu tun, als unsere Freilassungspapiere zu unterschreiben und unsere Aussagen vor dem provisorisch eingesetzten Sicherheitspersonal zu machen – hatten mich zermürbt.
    Oliver versuchte uns aufzuheitern und schlug ein Wörterspiel vor. Felicia schüttelte den Kopf. Charles blickte mich an, spürte mein Desinteresse und sagte: »Später vielleicht.« Oliver zuckte die Achseln und sah sich auf seinem Schirm das neueste LitVid an.
    Ich döste ein paar Minuten lang. Charles berührte mich sanft an der Schulter. Der Zug war langsamer geworden. »Du weckst mich dauernd auf«, brummelte ich.
    »Nein umgekehrt«, frotzelte Charles, »du schläfst bei jedem langweiligen Streckenabschnitt ein.«
    »Du bist wirklich wahnsinnig lieb, weißt du das?«, sagte ich.
    »Tut mir leid.« Sein Gesicht verzog sich.
    »Und warum …?« Ich hatte sagen wollen: Warum rennst du mir ständig hinterher, konnte diese Anschuldigung aber gar nicht richtig belegen. Der Zug bremste ab und glitt jetzt in den Bahnhof von Time River. Der Himmel draußen war dunkelbraun, im Zenit schwarz. Die Milchstraße hing so niedrig zwischen den hoch aufragenden Felswänden, als wolle sie das uralte Flussbett wieder füllen.
    »Ich finde dich interessant«, stellte Charles fest, machte seinen Sicherheitsgurt los und trat auf den Gang.
    Ich schüttelte den Kopf und ging zum vorderen Ausstieg voran. »Wir stehen alle unter Druck«, murmelte ich.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Charles.
    Felicia sah uns beide mit belustigtem Lächeln an.
     
    Im Wartezimmer der Klinik legte uns ein Staatsanwalt, ein ernster junger Mann, einen Packen Formulare zur Unterschrift vor. »An welche Regierung geht das?«, fragte Oliver. Die Uniform des Mannes hatte verdächtige Fadenspuren, an bestimmten Stellen waren Aufnäher entfernt worden.
    »An welche auch immer«, gab er zur Antwort. »Ihr seid von der Mars-Universität, stimmt’s? Freunde und Kollegen der Patienten?«
    »Kommilitonen«, sagte Felicia.
    »Gut. Jetzt hört mir mal zu. Ich muss etwas vorausschicken – für den Fall, dass einer von euch was über LitVid verbreiten will. Also: ›Weder billigt noch verurteilt der Bezirk Time River die Aktionen dieser Patienten. Wir halten uns an die historische Charta des Mars und behandeln alle Patienten ohne Ansehen der rechtlichen Umstände oder der politischen Überzeugungen. Alle Aussagen, die diese Patienten machen, repräsentieren nicht …‹«
    »Mein Gott!«, entfuhr es Felicia.
    »›… repräsentieren nicht Politik oder Haltung dieser Klinik oder des Bezirkes Time River.‹ – Ende der Predigt.« Der Staatsanwalt trat zurück und winkte uns durch.
    Das, was wir beim Betreten von Seans Zimmer vorfanden, schockierte mich. Man hatte Sean auf ein stählernes Streckbrett geschnallt, das in einem Winkel von fünfundvierzig Grad geneigt war, und ihn von oben bis unten in weißes Verbandszeug gehüllt. Seine Therapie – sie basierte auf Flüssigkeiten und optischen Fasern – wurde von Monitoren gesteuert. Erst jetzt wurde uns klar, wie schwer Sean verletzt war.
    Als wir hereinkamen, wandte er den Kopf und blickte uns teilnahmslos aus seinen graugrünen Augen an. Er war weit weg. Wir begrüßten ihn verlegen, und er antwortete mit einem beiläufigen »Wie geht’s denn so da draußen?«
    »Drunter und drüber«, antwortete Oliver. Sean sah mich an, als sei ich nur teilweise und nicht als voll entwickeltes menschliches Wesen präsent, ein Gespenst, das ihn nicht sonderlich interessierte. Ich rief mir in Erinnerung, wie er mit seiner leidenschaftlichen Rede die Studentenmenge begeistert hatte, und verglich den Sean von damals mit dieser glanzlosen Hülle. Das machte mich furchtbar traurig.
    »Gut.« Sean formulierte das Wort erst tonlos und wiederholte es dann laut. Er blickte auf eine alte Mars-Darstellung, die auf die gegenüberliegende Wand projiziert wurde. Das Landschaftsbild zeigte hoch aufragende Aquädukte, lange glänzende Rohre, die von baumhohen Sockeln hingen und mit fruchtartigen grünen Kugeln bestückt waren, manche hatten einen Durchmesser von dreißig oder vierzig Metern … Eine

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