Heimat Mars: Roman (German Edition)
Wegdas Tiefensondierung von Kruste und innerer Hülle des Mars.«
Aelita kam der Aufforderung nach. Hinter Abdi erschien ein uns allen bekanntes Diagramm, das einen Querschnitt des Mars zeigte und sich drehte, um eine dreidimensionale Ansicht seines Innern zu gewährleisten. »Wie Sie sehen, gibt es sechzehn zyklische Plumes, die aufsteigen und sinken, aber sie haben eine inversionsartige Kräuselform angenommen, das heißt sie steigen an der Außenseite nach oben und sinken auf der Innenseite nach unten. Die über diese Lavaströme auf die Kruste wirkende Nettokraft ist gleich Null, obwohl örtliche geophysikalische Auswirkungen nicht zu verkennen sind. Die Stabilität hängt wirklich am seidenen Faden … Das heißt, der Mars könnte jederzeit umkippen. Aber das ist in den vergangenen dreihundert Millionen Jahren nicht geschehen. Es gibt da vieles, das wir nicht verstehen.
Ein auf den ganzen Planeten ausgeübter Schub, und sei er noch so schwach, ein Schub, wie ihn zum Beispiel die Aufhebung solarer Gezeitenkräfte bewirken könnte, würde die Plumes möglicherweise aus dem Gleichgewicht bringen und die tektonische Aktivität wieder in Gang setzen.« Er hielt einen Augenblick inne, während seine Hände über dem Standbild des Mars-Diagramms schwebten. »Ohne einen großen Mond, der den Mars im Gleichgewicht hält, könnten schon relativ kleine Veränderungen auch die Achse kippen lassen.«
»Falls wir aufbrechen, müssten wir versuchen, näher an die Sonne heranzukommen, nicht wahr?«, sagte Abdi.
»Wir haben uns noch nicht entschieden«, erwiderte ich.
»Wenn es dazu käme, hätte es sehr viel größere Auswirkungen, als ich bis jetzt berechnet habe. Und meine Ergebnisse deuten jetzt schon auf den Wiederbeginn tektonischer Aktivitäten hin.«
»Was würde das bedeuten? Für uns alle, die wir hier leben?«, fragte Wachsler.
»Marsbeben. Vielleicht auch Aktivitäten entlang der alten Plattenränder. Vulkane. Es gibt keine Möglichkeit, die langfristigen Auswirkungen vorauszusagen.«
»Und die kurzfristigen?«, fragte Wachsler.
»Mehrere große Marsbeben. Allerdings würde es wohl noch Jahrzehnte dauern, bis sich die vulkanischen Aktivitäten längs der neuen Feuerbögen ausbreiten.«
»Wäre das rückgängig zu machen?«, fragte Wachsler.
»Was meinen Sie damit?«
»Wenn wir den Mars erst einmal ins Wackeln gebracht haben, könnten wir dann davon ausgehen, dass er sich irgendwann auch wieder stabilisiert?«
»Das könnte länger als einige zehn Millionen Jahre dauern«, antwortete Abdi. »Stabilität ist berechenbar. Instabilität nicht.«
»Aelita?«, fragte Leander und streichelte seinen jüngsten Nachwuchs, der sich auf einem automatischen Wägelchen befand. Aelita hatte eine weiche, heisere Frauenstimme. Ihre Projektion war eine Frau mit länglichem Gesicht, klassischen Zügen und kurzem schwarzen Strubbelkopf. Sie erinnerte mich an eine böse Königin in einem Disney-Film. »Doktor Abdis Schlussfolgerungen erscheinen einleuchtend. Mein Archiv enthält keine vollständigen Informationen über das Marsinnere.«
»Du hast alles, was verfügbar ist«, entgegnete Leander.
»Dann schlage ich vor, dass wir weitere Informationen einholen«, sagte Aelita.
Abdi sah die Tischrunde an. Er lächelte.
»Das werden wir machen«, sagte ich. »Doktor Abdi, wir brauchen innerhalb von zwanzig Tagen weitere Informationen zum Marsinneren.«
»Jawohl, Frau Vizepräsidentin«, antwortete Abdi fröhlich. »Darf ich das so verstehen, dass ich auf die Schnelle eine gründliche Untersuchung vornehme und ein Gutachten erstelle, das noch weit umfassender ist als das von Doktor Wegda?«
»Bitte«, antwortete ich. »Es ist von größter Wichtigkeit. Ihnen ist Ihre Schweigepflicht bewusst?«
»Allerdings«, antwortete Doktor Abdi ernst.
»Doktor Wachsler, jede Siedlung sollte einen Strukturbericht erstellen. Wie gut können die Bauten Beben widerstehen? Liegen irgendwelche Siedlungen direkt über alten Plattenrändern?«
»Ein paar.« Wachsler runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Wir haben die Siedlungen nie so angelegt, dass sie schweren geophysikalischen Aktivitäten standhalten sollten.«
»Kann man sie verstärken?«, fragte ich.
»Manche Siedlungen liegen über altem Schwemmland. Wenn es ein größeres Marsbeben gibt, reißt jede Fuge auf, die Tunnel stürzen ein … Alles, was nur vorstellbar ist, wird eintreten.«
»Solche Siedlungen müssten wir räumen lassen, oder nicht?«, fragte ich. »Wir
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