Heimat Mars: Roman (German Edition)
vernachlässigen.«
»Charles hat gesagt, das sei zu vernachlässigen«, entgegnete Leander und zuckte die Achseln. »Er brabbelt komisches Zeug, wenn er mit dem QL-Denker zugange ist.«
»Wissen Sie, was er damit meint?«, fragte ich.
Leander schüttelte mit schiefem Blick den Kopf. »Ich dachte mal, ich wüsste es. Aber das ist Jahre her.«
»Und?«
»Wir haben ein Bestimmungs-Tweak hypothetisch eingeführt, um bestimmte logische Widersprüche aufzuklären. Auch um zu erklären, warum wir nicht in der Zeit reisen können, mal abgesehen davon, dass eine Reise durch den Raum ohne jede Zeitverzögerung unweigerlich auch unsere Position in der Zeit beeinflusst. Es schien ein sehr klassisch-physikalischer Ansatz, ein sehr naiver Ansatz zu sein, und doch … Es war tatsächlich so einfach.«
»Was war einfach?«
»Mit Ihrer Erweiterung müssten Sie eigentlich verstehen, worin das Problem besteht.«
»Der Weg mit einer Geschwindigkeit, die schneller ist als ein Photon reisen kann, stellt in einem Universum, das auf Ursache und Wirkung beruht, ein logisches Problem dar«, sagte ich.
»Seit mehr als hundert Jahren hat sich kaum noch jemand besondere Gedanken um ein Universum gemacht, das auf Ursache und Wirkung beruht«, erklärte Leander. »Aber die Deskriptor-Theorie stellt alles wieder auf eine kausale Basis, eine andere Art von kausaler Basis. Auch wenn Ursache und Wirkung dabei letztendlich auf die Regeln beschränkt sind, die das Aufeinandereinwirken der Deskriptoren bestimmen.«
So viel war mir klar: Alle äußerlichen Phänomene, alle Naturerscheinungen konnten demnach als eine Art abhängiger Variablen betrachtet werden – als Ergebnis von Deskriptor-Funktionen. Inzwischen hatte ich mich in mathematische Abstraktionen verloren und musste überlegen, wovon wir gerade gesprochen hatten. »Gibt es denn nun einen logischen Widerspruch, oder gibt es ihn nicht?«, fragte ich.
»Die einzig reale Logik besteht in den Regeln, nach denen Deskriptoren arbeiten«, erwiderte Leander. »Wir brauchen dazu gar nicht das Bestimmungs-Tweak.«
»Was war damit?«
»Wir haben es nie gefunden«, antwortete Leander und schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich weiß nicht, warum er es überhaupt erwähnt hat.«
»Aber was war es denn nun?«, hakte ich nach.
»Eine Variante der alten Viele-Welten-Hypothese«, antwortete er. »Wir sind davon ausgegangen, dass man eine Masse, wenn man sie ohne Zeitverzögerung an einen Punkt außerhalb ihrer unmittelbaren Informationssphäre versetzt, ganz einfach wiederherstellen kann – und zwar in einem Universum, das nicht das unsere ist. Aber wir haben keinen Anhaltspunkt für die Existenz anderer Universen.«
»Stephen«, unterbrach Charles. »Ich habe dabei ein ungutes Gefühl. Der QL betrachtet allzu viele Wahrheiten.«
Leander runzelte die Stirn. »Was können wir tun, Charles?«
»Dranbleiben«, sagte Charles mit dünner Stimme. Seine Hand griff nach oben. Ich umklammerte sie instinktiv. Er seufzte, drückte meine Finger, bis sie weh taten, und fluchte: »Verdammt. Wir sind irgendwie auf einen falschen Kurs geraten.«
Hergesheimer spitzte mit gerunzelter Stirn die Ohren. »Wovon redet er?«, wollte er wissen.
»Holt Galena her!«, forderte Charles. »Bitte beeilt euch! Lasst sie nicht nach draußen sehen.«
Hergesheimer machte sich auf den Weg durch den Tunnel.
»Kann ich irgend etwas tun, Charles?«, erkundigte ich mich. Ich hielt immer noch seine Hand.
»Der QL ist auf falschem Kurs«, sagte er. »Sieh nicht nach draußen!«
Ich spürte einen Stoß, konnte aber nicht lokalisieren, aus welcher Richtung er kam. Mit der anderen Hand griff ich nach der Rückenlehne von Charles’ Sitz. Leander sah ich nur noch schemenhaft, als sei er von Schatten umgeben. Er schien sich um eine Sternenzacke zu biegen. Sein Mund bewegte sich, aber er sprach nicht, zumindest konnte ich ihn nicht hören. Hinter mir erklang ein winselndes Geräusch, gleich darauf hüllte es mich ein wie ein Stechmückenschwarm. Bum, bum, bum. Es kam mir vor, als stieße ich ständig mit mir selbst zusammen, dabei bewegte ich mich gar nicht, und es gab mich auch nur in einer Ausgabe. Gebilde, die um Leander herum zerfielen, gaben mir einen Hinweis auf das, was ich empfand: Er schien von Ballons umgeben zu sein, aus denen die Luft entwich, alle klatschten auf ihn herunter, so dass er zuckte und bebte. Der Impuls kollidierender Welten-Grenzen. Die Kabine füllte sich mit zerfallenden Bildern der Vergangenheit. Aber
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