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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Anflug von Frust genossen. Außerdem war mir, nachdem ich erst starken, doppelt fermentierten Shinktown-Tee und danach auch noch Wein getrunken hatte, ein bisschen übel. Ich hoffte, das werde sich beim Tanzen schon geben. Ich wollte ein bisschen flirten und dann heimgehen, um nachzudenken.
    Ich bemerkte Charles eher als er mich. Ich tanzte gerade mit einem Durrey-Studenten aus dem dritten Studienjahr, als ich ihn auf der anderen Seite des Raums stehen sah. Er war in ein Gespräch mit einer hochgewachsenen, großäugigen Exotin vertieft (›anmachen‹ nannte ich das damals). Meiner Meinung nach war sie mehrere Schuhnummern zu groß für ihn. Als der Tanz zu Ende war, drängte ich mich durch die Menge und stieß ihn wie zufällig von hinten an. Er wandte sich von der Exotin ab und erkannte mich. Zu meinem Schrecken strahlte er wie ein Kind übers ganze Gesicht. Er stolperte fast über seine eigenen Füße, um von der großäugigen Schönen wegzukommen.
    Seit Monaten hatte ich über die Aktion an der Mars-Universität Sinai nachgedacht. Jetzt wollte ich darüber reden, und Charles schien mir der dafür am besten geeignete Gesprächspartner.
    »Wir könnten essen gehen«, schlug Charles vor, als wir von der Tanzfläche weg schlenderten.
    »Ich hab schon gegessen«, wandte ich ein.
    »Dann eben ein kleiner Imbiss.«
    »Ich hatte eigentlich vor, mich mit dir über den letzten Sommer zu unterhalten.«
    »Die beste Gelegenheit dazu ist bei einem späten Dessert.«
    Ich runzelte die Stirn, als sei dieser Vorschlag nicht ganz angemessen, gab dann aber nach. Charles nahm meinen Arm (das schien recht unbedenklich), und wir machten uns auf den Weg zu einem kleinen, ruhigen Café voller Automaten. Das Café lag in einer Arkade am äußeren Tunnel. Die Arkade zweigte nördlich von den Quartieren ab, in denen die ständigen Bewohner Shinktowns lebten, und beherbergte kleine Lebensmittelmärkte, in denen Roboter bedienten. Wir überquerten den Platz, der genau in der Mitte lag, eine hundert mal hundert Meter große Rasenfläche, ringsum von übereinander geschachtelten Balkons umgeben, die an sechsstöckigen Gebäuden klebten. Diese Schachtelarchitektur gab sich alle Mühe, die schlimmsten architektonischen Auswüchse der Erde nachzumachen, sie war rückschrittlich und bedrückend. Die Einkaufsarkade war vergleichsweise noch flott und freundlich angelegt.
    Wir nahmen im Café Platz, tranken den lokalen Kaffee und warteten auf unseren Kuchen. Zunächst sprach Charles nur wenig, offensichtlich war er nervös. Über meine spärlichen Sätze grinste er entgegenkommend.
    Ich hatte dieses bemühte Wortgeplänkel bald satt, lehnte mich vor und fragte: »Warum bist du überhaupt nach Shinktown gekommen?«
    »Weil ich Langeweile hatte und mich einsam fühlte. Ich hab bis zum Hals in Problemen des Bell-Kontinuums gesteckt. Du … weißt bestimmt gar nicht, was das ist, oder?«
    »Nein.«
    »Na ja, das ist schon eine faszinierende Sache. Eines Tages könnte sie wichtig werden, aber im Augenblick ist sie eher ein Randgebiet. Und warum bist du hier?«
    Ich zuckte die Achseln. »Weiß ich nicht. Um Gesellschaft zu haben, nehme ich an.« Zu meinem eigenen Schrecken merkte ich, dass ich einen Ton angeschlagen hatte, der meiner Art zu flirten entsprach. Meine Mutter hätte ihn ›spitz‹ genannt, und sie kannte mich, weiß Gott.
    »Hältst du nach einem guten Tanzpartner Ausschau? Dann bin ich bestimmt die falsche Besetzung.«
    Ich winkte ab. »Erinnerst du dich noch daran, was Sean Dickinson damals gesagt hat?«
    Er verzog das Gesicht. »Das würde ich lieber vergessen.«
    »Was war mit ihm eigentlich los?«
    »Ich kenne mich in der menschlichen Natur nicht sonderlich aus.« Charles musterte seine kleine Tasse. Die Kuchen kamen, Charles drückte mit der Handfläche gegen die Registratur des Roboters. »Ich lade dich ein«, sagte er. »Da bin ich altmodisch.«
    Ich ließ es ihm durchgehen. »Ich glaube, er war ein Ungeheuer.«
    »Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde.«
    Mit Genuss ließ ich mir das Wort nochmals auf der Zunge zergehen: »Ein Ungeheuer. Ein politisches Ungeheuer.«
    »Er hat dich wohl wirklich sehr getroffen? Aber denk daran, dass er schwer verletzt war.«
    »Inzwischen hab ich versucht, die ganze Situation zu begreifen. Ich hab mich bemüht herauszufinden, warum wir nichts erreicht haben. Warum ich bereit war, Sean und Gretyl fast überall hin zu folgen …«
    » Ihnen oder der Sache?«
    »Ich hab an die Sache geglaubt –

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