Heimat Mars: Roman (German Edition)
bewunderte insgeheim wohl alles, was ich getan hatte – denke ich heute. Meine Eltern übernahmen persönlich die Kosten für die teuren Fernkurse, damit ich mein Studium nicht unterbrechen musste. Sie hätten diese Kosten auch auf den Staat abwälzen und dem Etat anlasten können, der jetzt – nach Rehabilitation der ›reaktionären BGs‹ – wieder allen BGs für Ausbildung und Erziehung zur Verfügung stand. Zwar unterstützte Vater die Regierung der BGs voll und ganz, aber er war zu anständig, die für die BGs vorgesehenen staatlichen Geldquellen anzuzapfen oder aus dem Sieg der BGs Kapital zu schlagen.
Connor sah ich bald darauf in einem LitVid von General Solar. Sie befand sich auf dem langen Flug zur Erde und gab vom Barrier Reef aus, dem interplanetaren Raumschiff der Transportvereinigung Westliche Hemisphäre (IRTWH), Erklärungen ab. Sie tat sich schwer damit, der Marsbevölkerung zu verklickern, dass und warum man sie auf der Erde wie eine Heldin empfangen werde.
Dauble war auch da, sagte aber nichts. Schließlich war von Tag zu Tag mehr darüber bekanntgeworden, welchen Dreck ihre zentralistische Ex-Regierung am Stecken hatte.
Ganz zufällig war auch ein Anwalt der BG Majumdar mit an Bord, der ebenso zufällig auch bereit war, alle BGs und sonstigen Gläubiger in ihren Ansprüchen gegen Connor und Dauble zu vertreten. Tag für Tag für Tag, während der ganzen Reise, legte er ihnen Papiere vor …
Als die beiden zehn Monate später auf der Erde landeten, waren sie arm wie Kirchenmäuse. Auf dem Mars geborene und auf die Erde verbannte Kirchenmäuse, für den Rest ihres Lebens dazu verdammt, sich vor anhängigen Klagen aus den Reihen des Dreierbundes in Mauselöcher zu verkriechen.
ERSTER TEIL
ZWEITES KAPITEL
2172
M ARSJAHR 53
W AS AUF DEM M ARS GESCHAH , war ein ausgezeichnetes Beispiel für eine Politik, die in einer ›jungen Kultur‹ etwas bewegt oder bewegen will. Und das war ja mein spezielles Studiengebiet und interessierte mich auch in der Geschichte der Erde. Also hätte ich das Geschehen eigentlich fasziniert verfolgen müssen. Aber die Wirklichkeit sah anders aus: Die Tagesnachrichten beachtete ich kaum.
Auf meinen jugendlichen Idealen hatte man recht unsanft herumgetrampelt. Ich wusste einfach nicht mehr, wo es langging. Als erstes musste ich mir erneut darüber klar werden, wer ich eigentlich war. Erst dann würde ich den weiteren Gang meiner Ausbildung festlegen und entscheiden können, welche Aufgabe ich innerhalb der Familie übernehmen wollte.
Meine Mutter hatte Verständnis für meine jugendliche Unfähigkeit, mich festzulegen. Mein Vater gab meiner Mutter nach. Mir wurde eine Zeitspanne jenseits aller Verpflichtungen gewährt.
Als in der Universität die Vorlesungen wieder begannen, wechselte ich Studienort und Hauptfächer und zog nach Durrey, der drittgrößten Stadt auf dem Mars. Hier war der zweitgrößte Ableger der Mars-Universität untergebracht. Ich belegte die höheren Geisteswissenschaften: Literatur des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, Philosophie vor der Quantenmechanik und Moral und Ethik in Berufs- und Geschäftsleben (dieses Fach war noch am ehesten an der Praxis orientiert). Vier arme Seelen hatten dieselben Hauptfächer wie ich belegt und beschäftigten sich mit Dingen, für die fast alle praktisch orientierten Mars-Pioniere keinen Pfifferling gegeben hätten.
Ich brauchte eine Ruhepause. Also beschloss ich, mich zu amüsieren.
An Charles hatte ich schon seit Monaten nicht mehr gedacht. Ich wusste nicht, dass er ebenfalls nach Durrey gewechselt hatte. Als das Semester begann, liefen wir einander nicht gleich über den Weg. Ich begegnete ihm erst während der kurzen Ferien, in Shinktown.
Siebenhundertundneunzig Studentinnen und Studenten kehrten der Universität von Durrey zur Sonnenwende den Rücken. Diejenigen, die aus den örtlichen, alteingesessenen Familien von Mariner Valley stammten, halfen bei der Arbeit auf ihren Farmen, andere suchten in Shinktown Zuflucht. Manche der bereits verheirateten Studenten machten sich auf den Weg zu ihren halbfertigen Unterkünften, die bald zu neuen Heimstätten werden sollten, und taten das, was verheiratete Menschen üblicherweise tun.
Meine Familie unterhielt keine Farmen und verlangte von mir nicht viele Beweise meiner töchterlichen Ergebenheit. Sie liebten mich, aber ließen mich meine eigenen Wege gehen.
Shinktown war ein nicht gerade hübscher Mischmasch aus Geschäften, kleinen,
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