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Heimat Mars: Roman (German Edition)

Heimat Mars: Roman (German Edition)

Titel: Heimat Mars: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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ausleihen und dir …«
    »… eine Weinkellerei zeigen?«, fragte ich aufgeregt.
    »Die gibt es nicht mehr, sie wurde zu einem Wasserreservoir umgewandelt. Ist nicht viel mehr als eine unterirdische Kuppel, aber dort lagern viele Fossilien. Vielleicht ist der Boden des ehemaligen Weinbergs inzwischen locker. Dann könnten wir dort Ausgrabungen machen.«
    »Und da fragst du noch?« Ich empfand eine so plötzliche und unerwartete Wärme für Charles, dass mir die Tränen kamen. »Charles, du überraschst mich«, stellte ich zu meiner eigenen Überraschung fest. »Was erwartest du dir davon?«, fügte ich mit gesenktem Blick hinzu.
    »Kann ja sein, dass du mich eher magst, wenn wir nicht gerade hier sind. Ich passe nicht nach Shinktown. Ich weiß selbst nicht, warum ich hierher gekommen bin. Obwohl ich natürlich froh darüber bin, weil du hier bist, aber …«
    »Eine alte Weinkellerei. Und … steigen wir wieder an die Oberfläche?«
    »In richtigen Schutzanzügen. Hab ich schon oft genug gemacht. Mit mir zusammen brauchst du da oben kaum was zu befürchten.« Er deutete mit dem Finger nach oben. »Ich bin kein LitVid-Star, Casseia. Ich hau dich bestimmt nicht gerade vom Hocker.«
    Ich tat so, als hätte ich das gar nicht gehört. »Ich hab noch nie nach Fossilien gegraben. Das ist eine tolle Idee.«
    Charles schluckte und entschied sich dann dafür, gleich Nägel mit Köpfen zu machen. »Wir könnten gleich losfahren. Ein paar Tage dort bleiben. Würde nicht viel kosten – meine BG ist nicht reich, aber wir könnten Ausrüstungen ausleihen, die im Augenblick niemand braucht. Was den Sauerstoffhaushalt betrifft: Da gibt’s keine Probleme. Wenn wir Wasserstoff mit zurückbringen, machen sie sogar Gewinn. Ich kann Bescheid sagen, dass die Unterkunft für uns aufgeheizt wird.«
    Das alles war leicht verrückt, kam total unerwartet und machte Spaß. Charles würde mich bestimmt nicht zu einem Schritt drängen, den ich nicht selbst tun wollte. Es passte einfach.
    »Ich werd versuchen, dich nicht mit Physik zu nerven«, sagte er.
    »Das ertrag ich schon«, beruhigte ich ihn. »Was hat dich eigentlich auf die Idee gebracht, ich sei in Sean verknallt gewesen?«
    Klugerweise gab er keine Antwort, sondern machte sich sofort daran, die nächtlichen Vorbereitungen zu treffen.
    Am häufigsten sahen Marsianer die Oberfläche ihrer Welt vom Zugfenster aus. Im Schnitt kam es vielleicht neun- oder zehnmal im Leben eines Marsbewohners vor, dass er zur Oberfläche stieg und dort im Schutzanzug herumspazierte – normalerweise in Gesellschaft und unter strenger Aufsicht, wie ein Tourist auf dem eigenen Planeten.
    Ob man es Angst oder Vernunft nennen will: Jedenfalls zogen die meisten Marsianer die Tunnel vor und nannten sich ebenso selbstironisch wie selbstgefällig ›Karnickel‹. Genauer gesagt: ›rote Karnickel‹, weil sie sich von den ›grauen Karnickeln‹ des Mondes abgrenzen wollten.
    Als ich im Schlepper neben Charles saß, war ich, glaube ich, viel nervöser als Monate zuvor bei der Sache mit der Hautversiegelung. Ich vertraute Charles, ich hatte keine Angst, dass er uns in die Schluchten oder uralten Gletscherzungen stürzen würde. Er strahlte Selbstvertrauen aus. Was mir zu schaffen machte, war etwas anderes: In mir regten sich Gefühle, die ich sicher hinter Schloss und Riegel geglaubt hatte. Denn bislang hatte ich mich hinter der Philosophie verschanzt.
    Auf diesen Sinneswandel will ich hier gar nicht näher eingehen. Jedenfalls fühlte ich mich immer mehr zu Charles hingezogen, aber das war ein langwieriger Prozess. Während er fuhr, warf ich ihm verstohlen Blicke zu, musterte sein hageres Gesicht, die lange gerade Nase, die ruhigen, aufmerksamen, großen braunen Augen, die leicht sinnliche Oberlippe, die etwas schwach ausgeprägte Unterlippe, das energische Kinn, den mageren, fest eingeschnürten Hals – die ganze verwirrende Mischung aus Zügen, die ich anziehend fand, und solchen, die ich nicht unbedingt mochte. Denn es gab Züge, die nicht schön, nicht perfekt waren. Die langen Finger mit ihren eckigen Nägeln, die breiten, knochigen Schultern, die leicht eingefallene Brust …
    Ich runzelte die Stirn und richtete meine Aufmerksamkeit auf die Landschaft. Mit den Naturwissenschaften hatte ich nicht viel am Hut, aber eine Bewohnerin des Mars kommt um seine Vergangenheit einfach nicht herum. Schon im Kinderbett hörten wir die alten Geschichten.
    Der Mars war jetzt tot. Aber früher einmal hatte es hier Leben

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