Heimat Mars: Roman (German Edition)
… und lande unversehrt auf der anderen Seite, als Jungfrau, die man mit Gold und Juwelen überschüttet.«
»Na ja …«, sagte ich.
Zwei Tage vor der Abreise bestellte mich Bithras in sein Büro in Carter City, Aonia Terra. Ich bestieg den Zug in Jiddah, fuhr nach Aonia und holte mein Gepäck vom Güterbahnhof Carter City ab. In Carter City lebten die meisten Angestellten der BG Majumdar, hier konzentrierten sich die langfristigen Planungen. Hier wohnte auch Bithras.
Ich war Bithras nie zuvor begegnet und mehr als nervös.
Helen Dougal holte mich am Bahnhof ab und begleitete mich im Taxi durch die Transittunnel. Helen war eine attraktive Frau, zwanzig Marsjahre alt, aber sie wirkte nicht viel älter als ich.
In Carter City wohnten zehntausend BG-Mitglieder und mehrere hundert Anwärterinnen und Anwärter, von denen die meisten wegen der Eloi- Gesetze von der Erde zugewandert waren. Carter City war groß, aber gut geführt, die Tunnel und Unterkünfte waren geräumig und schön gestaltet. Die Stadt wirkte nicht so überfüllt und aufs Geratewohl angelegt wie Shinktown, aber auch nicht so sauber und ordentlich wie Durrey. Und sie war auch keineswegs so gemütlich und intim wie Ylla. Die zeitweilige Präsenz so vieler Erdenbürger – einige wiesen exotische Veränderungen auf – umgab die Stadt mit einer Atmosphäre, die für den Mars ganz und gar untypisch wirkte.
Helen fütterte mein Kom mit Hintergrundinformationen zu den Themen, die auf der Tagesordnung standen, und klärte mich über das Programm meines zweitägigen Besuches auf. »Befassen Sie sich später damit«, sagte sie. »Jetzt will Bithras erst einmal seine neue Assistentin kennenlernen.«
»Selbstverständlich.« In Helen Dougals Gesicht konnte ich keine Spur von Neid entdecken. Ich fragte mich, warum Bithras nicht Helen an meiner Stelle mitnahm – fragte mich, ob sie wohl der Meinung war, dass ich von ihrem Tellerchen aß und aus ihrem Becherlein trank. Vielleicht hatte die Tatsache, dass ich ein bisschen jünger aussah … bestimmt auch jünger war …
Nach dem, was ich gehört hatte, konnte alles möglich sein. Ich musste wohl etwas abwesend gewirkt haben, denn Helen lächelte nachsichtig und sagte: »Sie sind eine Praktikantin. Ich habe von Ihrer Seite nichts zu befürchten und Sie auch nichts von mir.«
Und was ist mit Bithras?
»Glauben Sie mir, eine Menge von dem, was Sie über unseren Rechtsvertreter gehört haben, ist nur Klatsch und Tratsch.«
»Oh.«
»Anwälte und Vertreter der Familie treffen sich heute Nachmittag um fünfzehn Uhr. Aber zuerst werden Sie gemeinsam mit Bithras und mir zu Mittag essen. Allen Pak-Lee ist noch in Borealis. Übermorgen ist er hier.«
Das Mittagessen fand in einem Speisesaal außerhalb von Bithras’ Hauptbüro statt. Ich hatte einen gewissen Luxus erwartet, aber der Rahmen war spartanisch: Nano-Fertignahrung aus der Dose, nicht gerade appetitanregend. Tee aus Teebeuteln, der aus alten, angeschlagenen Kannen in abgenutzte Tassen eingeschenkt wurde. Tische, in denen noch Metall aus der Pionierzeit stecken musste.
Bithras, der sein Kom dabeihatte, trat ein und fluchte in einer Sprache, die ich zunächst für Hindi hielt. Später erfuhr ich, dass es sich um Pandschabi handelte. Gewichtig nahm er am Tisch Platz. Auf dem Mars ist es nicht leicht, schwerfällig Platz zu nehmen, aber er tat sein Bestes. Das Kom glitt einige Zentimeter über den Tisch, er entschuldigte sich in perfektem, schnellem Englisch.
Er hatte eine dunkle, fast purpurfarbene Haut, durchdringende Augen und angenehme Gesichtszüge, die angesichts seiner mittleren Jahre etwas schlaff wirkten. Seine Frisur war ein kurzer Bürstenschnitt, in seinem schwarzen Haar waren noch keine grauen Strähnen zu sehen. Kräftige und für einen Marsianer muskulöse Arme und Beine ragten selbstbewusst aus einem kurzen Leib. Er hatte ein weißes Baumwollhemd und Tennisshorts an. Tennis war sein Lieblingssport.
»Die Zeit drängt, sie drängt furchtbar«, sagte er und schüttelte frustriert den Kopf. Dann blickte er auf. Seine Augen blitzten wie die eines kleinen Jungen, sein Mund verzog sich zu einem strahlenden breiten Lächeln. »Machen wir uns bekannt. Meine Nichte, neue Praktikantin und Assistentin?«
Ich erhob mich von meinem Stuhl und verneigte mich. Er tat es mir nach und streckte die Hand über den Tisch, um meine Hand zu schütteln. Seine Augen verharrten auf meiner Brust, die unter einem locker sitzenden Pullover kaum zum Anstarren einlud.
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