Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
Signale verwendet. Man könnte für ein »Ja« rein theoretisch auch den Kopf einziehen oder ausstrecken oder die Hand auf die Stirn legen. Tatsächlich ist das »Ja« aber fast überall ein Nicken nach vorne. Verhaltensforscher sehen darin eine Weiterentwicklung der Demutsgeste, die wir von vielen Säugetieren kennen. Wir sind schließlich auch Säugetiere. Beim Nicken machen wir uns kleiner und zeigen uns verletzlich. Als Gegenstück zum überheblichen oder herrischen Kopfheben beugen wir uns im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. Und das wird mehrfach wiederholt, wie beim Kopfschütteln. Das Wackel-Wackel-Ja der Inder ist nicht etwa unserer Nein-Geste gleichzusetzen. Es ist kein Kopfschütteln. Es signalisiert eher ein Abwägen: »Du könntest recht haben.«
Bei genauem Hinsehen ist auch die verneinende Geste der Griechen nicht völlig anders als unsere. Sie nicken schließlich nicht zum »Nein«. Die Verneinung ähnelt sich überall darin, dass das Gesicht vom Gesprächspartner mehrmals weg- und wieder hingelenkt wird. Schon Säuglinge drehen den Kopf weg von etwas, was sie nicht mögen. Augen und Nase werden abgewandt von dem, was Abwehr auslöst. In der Kommunikation müssen die entscheidenden Signale besonders deutlich sein, damit sie im ständigen Trommelfeuer der Mimik bemerkt werden. Also macht man die Bewegung mehrmals. Oder man macht größere und damit deutlichere Bewegungen. Das Nicken des Griechen ist kein Nicken nach vorne, sondern nach hinten. Außerdem schließen die Griechen dabei meist kurz die Augen. Bei einem starken Nein werfen sie den Kopf nach hinten, schließen die Augen und werfen die Arme nach hinten: All das sind Bewegungen weg vom Redepartner. Für Missverständnisse bleibt da wenig Raum.
Bis in die 1960er Jahre dominierte in der Psychologie und Pädagogik die Ansicht, Verhalten sei im Wesentlichen erlernt. Die Ethnologen waren nur an Unterschieden interessiert, Analogien zwischen den Kulturen wurden komplett verneint. Für fast alle Wissenschaftler stand fest, dass die Menschen das Minenspiel und die Deutung der Mimik in ihren Kulturen lernen. Für alle schien auch klar, dass sie dabei zu ganz verschiedenen Ergebnissen kommen. Die Suche nach einem gemeinsamen Repertoire menschlicher Gefühlsmimik schien abwegig. Die Kulturen mit ihrer jeweils sehr besonderen Erziehung galten als dominant gegenüber etwaigen angeborenen Mustern. Die herrschende Grundüberzeugung: Bei Begegnungen zwischen Menschen verschiedener Kulturen liest jeder nur das heraus, was er aus seinem eigenen Umfeld kennt. Deshalb kommt es zwangsläufig zu Missverständnissen.
Der erste Schlag gegen diese Deutung war die Entdeckung des Augengrußes. Der deutsche Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt wies in den 1960ern nach, dass Menschen für einen Sekundenbruchteil die Augenbrauen heben, wenn sie anderen danken, ihnen zustimmen oder Einverständnis signalisieren. So sagt man überall »Ja« zum sozialen Kontakt. Verliebte machen es beim Flirten. Menschen tun es, wenn sie mit einem Kind schäkern. Das Augenheben geht so fix, dass keiner das selbst bemerkt. Zum Nachweis des Augengrußes braucht man Kameras und Zeitlupenaufnahmen. Eibl-Eibesfeldt, der bis ins hohe Alter dynamische Tausendsassa, filmte in Kulturen rund um den Globus und zeigte, dass sich Menschen in ganz verschiedenen Kulturen so verhalten. Eibl zeigte auch kleine kulturelle Unterschiede, aber das Grundmuster ist universal.
Ebenfalls in den 1960er Jahren hatte Eibl eine noch grundlegendere Entdeckung gemacht. Auch Kinder, die taubblind geboren wurden, also seit ihrer Geburt in ewiger Nacht und Stille leben, zeigen das ganze Spektrum der Mimik, obwohl sie es ja nie gesehen und erlernt haben können. Sie beißen sich vor Ärger in die Hand, sie weinen und sie lächeln. Diese Befunde deuten klar auf angeborene Mimikprogramme hin. Eibl ist ein streitbarer Forscher, der keine Auseinandersetzung scheut. Er geht davon aus, dass sehr viel am menschlichen Verhalten angeboren ist. Unbeeindruckt von modischer Wissenschaft spricht er bis heute von »Instinkten« beim Menschen. Beim kulturrelativistischen Establishment macht er sich damit so wenig Freunde wie sein berühmter Lehrer Konrad Lorenz.
Gefühle lesen
Nach diesen Befunden will es einer genau wissen: Paul Ekman. Der amerikanische Psychologe erforscht Gefühle und ihren Ausdruck im Gesicht mittlerweile seit über 40 Jahren. Schon als Kind wird er schmerzlich mit seinem Lebensthema konfrontiert. Sein
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