Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
Wilde, als Reste früherer Menschenformen oder »niederer Rassen«, die ohnehin bald aussterben würden.
Die Goldsucher hatten ein cleveres Gespür, dass man die Papua gut ausnutzen könnte. Insofern war diese Situation eine Kopie der klassischen kolonialen Situation des ersten Kontaktes: Menschen aus einer dominanten Kultur begegnen einer anderen. Welten prallen aufeinander. Nach kurzem Abtasten halten die Dominanten die anderen für primitiv. Da enden gegenseitige Missverständnisse schnell in Gewalt. Dann beuten die Mächtigeren die weniger Starken aus.
Außer den Goldsuchern, ihren Trägern und den Hochlandpapua spielten bald noch andere Menschen eine Rolle. Nach den Schatzgräbern kamen die Seelenfänger. Missionare versuchten, die Menschen von ihrem tradierten Glauben abzubringen, und brachten ihnen Kleider. Puritanische Lutheraner wollten ihnen das viele Singen und Tanzen abgewöhnen. Die Siebenten-Tags-Adventisten predigten ihnen, Ziegen- statt Schweinefleisch zu essen. Ihnen war egal, dass sich die ganze Kultur der Hochländer um Schweine dreht. Die Hochlandleute handeln, denken und träumen in Schweinen. Als der Staat unabhängig wurde, versuchten Lokalpolitiker Recht und Ordnung durchzusetzen und den Papua ihre traditionellen Scharmützel gegen Nachbarn abzugewöhnen. Das alles hat die lokale Kultur nachhaltig geschädigt.
Der Film lebt davon, dass sich diese wildfremden Menschen einerseits verstehen, es andererseits jedoch immer wieder zu grundlegenden Missverständnissen kommt. Die Papua konnten mit der Wirtschaft der Weißen nichts anfangen. In ihrer eigenen Ökonomie ging es nicht um die Ansammlung von Gütern. Das Ziel war eher gegenseitiger Tausch und das Sammeln von Prestige. Das wiederum verstanden die Goldprospektoren nicht. Die Expeditionen brauchten Proviant, und den bekamen sie von den ansässigen Bauern. Sie sahen, dass die Papua Muschelschalen extrem schätzten. Also brachten sie ihnen ganze Wagenladungen davon. Das aber hob deren Seltenheitswert auf und brachte die Basis der lokalen Wirtschaft ins Schwanken.
Getrieben von der Gier nach schnellem Reichtum, erschossen die Goldsucher kurzerhand Papuas, wenn sich die traditionellen Krieger ihnen in den Weg stellten. Der Kulturkontakt wurde zu einem Kulturkonflikt, der bis heute andauert. Die Gesten hatten eine elementare Verständigung möglich gemacht. Mehr nicht. Ein gegenseitiges Verstehen war nicht zustande gekommen.
Alles nur Kultur?
Die Ereignisse scheinen die gängige Schulweisheit zu bestätigen: »Andere Länder, andere Sitten.« Kulturen werden vor allem als unterschiedlich wahrgenommen, und zwar schon lange vor den Sitten: bei ganz einfacher Kommunikation. Menschen aus verschiedenen Gesellschaften drücken ihre Gefühle jedenfalls unterschiedlich aus. Sie kommunizieren mit anderen Symbolen. Wer weiß, ob sie nicht sogar anders fühlen!
Jeder Toskana-Reisende kennt die Geste der erhobenen Hand mit den nach oben zusammengelegten Fingern, die schnell hin und her bewegt wird, wenn der Italiener vom Gorgonzola oder vino schwärmt. Diese Geste gibt es nur in Italien und hierzulande nur in der Pizzeria. Klassisch sind die Missverständnisse bei solchen Gesten. Generationen von Rucksacktouristen haben sich in Griechenland nicht getraut, in haltende Busse einzusteigen, weil sie das hektische Winken des Fahrers als Verscheuchen empfunden haben. Die Busse fuhren ohne sie ab, und als nach stundenlangem Warten endlich der nächste Bus kam, ging das Spiel von vorne los.
Unterschiede scheint es selbst bei etwas so Grundlegendem wie Zustimmung oder Ablehnung zu geben. Mitteleuropäische Ja-Sager nicken mit dem Kopf. Kopfschütteln zeigt oder begleitet ein »Nein«. Griechen und Bulgaren werfen dagegen den Kopf hoch, wenn sie »Nein« sagen. Dazu heben sie vielleicht noch beide Hände und verschließen die Augen. Ganz zu schweigen von den Indern, die den Kopf beim Ja-Sagen nicht auf und ab bewegen, sondern hin und her schaukeln. Diese für uns lustige Wackelei ist in jedem Bollywoodfilm zu bestaunen. Die Verschiedenartigkeit der Kulturen zeigt sich schon in diesen elementaren Gesten – so steht es in den gebildeten Reiseratgebern für Traveller und den beredten Kulturknigges für Geschäftsleute. Aber stimmt es auch?
Wulf Schiefenhövel, Verhaltensforscher und gleichzeitig bekennender Fan exotischer Lebensweisen, hat genauer hingeschaut, und seine Befunde sagen uns etwas anderes. Zunächst gibt es keine Kultur, die vollkommen abweichende
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