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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
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ein Gespür für Sprache, Stimmlage, Gestik, Haltung und Blickrichtung. Das kann nur der Mensch und auch nur einer von hundert. Pokerface und Unschuldsmine haben noch lange nicht ausgedient.
    Die automatische Emotionserkennung wird zum Glück wohl Science-Fiction bleiben. Auf dem Boden des alltäglichen Lebens lässt sich feststellen, dass alle Menschen quer durch die Kulturen dieselben Emotionsgesichter zeigen. Wahrscheinlich haben wir alle auch im Inneren dieselben Grundemotionen. Unsere Kulturen sagen uns zwar, dass wir manche Gefühle an besonderen Orten oder in bestimmten Situationen nicht zeigen dürfen. Das ändert aber nichts an der Universalität der Emotionen. Und diese Grundemotionen spiegeln sich nicht nur unwillkürlich im Gesichtsausdruck wider, sondern auch gewollt und gekonnt in der Kunst aller Zeiten und Völker. Kunstwerke, Musik und Tanz wollen Emotionen ansprechen und erzeugen. Deshalb ist ein Hauptthema bildlicher Kunst das Gesicht des Menschen.

Kathedralen, Schweine, Totempfähle Kunst quer durch die Kulturen
    Das Publikum bei Gagosian, einer angesagten Kunstgalerie in New York, hält den Atem an. Das neueste Werk von Jeff Koons wird enthüllt. Kenner und Flaneure drängen sich auf engem Raum. Champagner wird entkorkt. Was zum Vorschein kommt, ist ein Schwein. Dem Lieblingskind der globalen Kunstszene ist es mit der hellrosa gefärbten, glänzenden und überdimensional großen Skulptur wieder einmal gelungen zu verblüffen. Man hört »Ah« und »Oh« und »Wow«, andere Gäste sind zurückhaltender. Weitere Werke in dieser Schau sehen aus wie monströse Anordnungen von Luftballons. Wer mehr über Koons’ Leben und Ziele weiß, dem gefallen diese Arbeiten vermutlich. Für den echten und tiefen Genuss von heutiger Kunst braucht der Betrachter oft eine Menge Kenntnisse. Würde der Megastar seine Schweine in einem Kindergarten präsentieren, käme kaum jemand darauf, sie für Kunst zu halten. Häufig ist der soziale Ort, das Wissen und der kulturelle Rahmen entscheidend, ob etwas als Kunst gesehen wird.
    Eine Umfrage im Rahmen des prestigeträchtigsten Kunstpreises in England, dem Turner Prize , wollte von 500 Kunstkennern wissen, welche Arbeit sie für das einflussreichste Kunstwerk des 20. Jahrhunderts halten. Die Creme der Sammler, Händler, Kritiker, Kuratoren und Künstler kürte als Gewinner mit großem Abstand – eine Kloschüssel. Mit seinem Werk Der Brunnen hatte Marcel Duchamp im Jahr 1917 als Erster einen Gebrauchsgegenstand aus seinem ursprünglichen Kontext gelöst und in einer Galerie auf den Sockel gestellt. Fachleute bezeichnen so etwas als Readymade . Offen bleibt die Frage, ob die befragten Kunstkenner den Duchamp auch zu ihrem Lieblingswerk erklärt hätten oder zur besten Arbeit des Jahrhunderts. Gefragt war ja nur nach dem Einfluss.
    Es ist spannend, sich der Frage nach dem Wesen der Kunst über Werke zeitgenössischer Kunst zu nähern, die selbst innerhalb unserer Kultur heiß umstritten sind. Schon dass man überhaupt fragt, ob es sich um Kunst handelt, sagt viel über Kunst in unserer Gesellschaft. Bücher mit entsprechenden Titeln sind Longseller. 1987 erschien Andreas Mäcklers Was ist Kunst? in Erstauflage mit dem Untertitel 1080 Zitate geben 1080 Antworten . Dreizehn Jahre später trägt die dritte Auflage den Titel 1460 Antworten auf die Frage: was ist Kunst? . Offenbar interessiert die Frage viele; die Antworten driften allerdings immer weiter auseinander.
    Schon die Frage wäre zu anderen Zeiten in Europa nicht aufgekommen. In vielen anderen Kulturen wird sie auch heute nicht gestellt. Ein solches Buch wäre dort ein Ladenhüter. Kunst und Kunstauffassungen in der Welt von heute sind nicht nur ungeheuer vielfältig, sie sind auch Ausdruck starker historischer Wandlungsprozesse. Deshalb macht es Sinn, über den eigenen Tellerrand zu gucken, exotische Kunsttraditionen in den Blick zu nehmen und zu schauen, ob es quer durch die Kulturen Werke gibt, die unumstritten als Kunst wirken.
    Kunst ist Kontext: Koons und Kwakiutl
    Der Champagner bei Gagosian ist gut, aber sonst bin ich nicht sonderlich beeindruckt. Unter den vielen Gästen fallen mir zwei Kunstfreunde auf. Dass sie Indianer von der Nordwestküste sind, erkenne ich nur an ihren Schlipsen. Angehörige der First People , wie man jetzt politisch korrekt sagt, laufen im Alltag nicht mit Kopfputz herum. Die beiden sind völlig normal gekleidet. Auch sie scheinen von den Schweinen nicht restlos begeistert, und wir

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