Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
schrieb er eine Art Logbuch, in dem er ihre Entwicklung protokollierte.
Wenn sich Menschen schämen, konstatierte er, dann erröten sie. In keiner Kultur werden sie blass. Blass wird man vor Schreck. Menschen, die sich konzentrieren, schürzen häufig die Lippen. Der Mensch ist ein besonderes Tier, deshalb sind auch seine Gefühle aus der Natur abzuleiten und nicht gottgegeben. In seinem Werk kommt Darwin zu dem Schluss, dass die Mimik der Gefühle quer durch die Kulturen dieselbe und angeboren ist. Seine für die damalige Zeit erstaunlich völkerverbindende These: Einige, wenn auch längst nicht alle Gefühlsausdrücke sind unabhängig vom Willen und von kulturellen Gewohnheiten. Freude ist Freude, Angst ist Angst.
Ekman wollte ursprünglich zeigen, dass alle wichtigen Ausdrucksformen von der kulturellen Umwelt geprägt sind. Er hatte Anfang der 1960er Jahre zwar von Darwins Thesen gehört, dessen in Vergessenheit geratenes Buch gerade wiederentdeckt worden war. Er glaubte aber Darwins Thesen nicht. Die Wirklichkeit in Neuguinea und anderswo hat ihn dann eines Besseren belehrt. Danach las er Darwin sehr genau. Später betreute er sogar eine kritische Neuausgabe des Werks. Die Darwin-Lektüre brachte Ekman auf eine neue Spur. Darwin selbst hatte die Schriften des Franzosen Duchenne du Boulogne zitiert, der zehn Jahre zuvor mit einem Landstreicher etwas makabre, aber aufschlussreiche Versuche gemacht hatte. Mit leichten Stromstößen löste er spezifische Gesichtsausdrücke aus. Er zeigte damit, dass es ein ganzes Arsenal von Muskeln für die Mimik gibt. Natürliches und bewusst aufgesetztes Lächeln werden durch unterschiedliche Muskeln bewirkt. Das menschliche Gesicht entpuppte sich als hyperkomplexes Gesamtkunstwerk.
Zurück aus Neuguinea, setzte Ekman zusammen mit seinem Kollegen Wally Friesen genau da an. Die beiden entwickelten ein detailliertes System, um Gesichter zu beschreiben. Das Resultat ist das Facial Action Coding System , eine Art Gesichteratlas mit vielen Hundert Porträtfotos, der 1978 erschien. Die Basis ist eine Riesenauswahl kombiniert aus gestellten und im realen Leben gemachten Bildern. Ekman und Friesen zeigen, dass jede Gesichtsbewegung von speziellen Muskeln durchgeführt wird. Daraus definieren sie »Aktionseinheiten«. Alle gesunden Menschen können 44 solcher Einheiten produzieren und nach Meinung der beiden Gesichtskartografen damit eine Palette von 10000 unterschiedlichen Gesichtern hervorbringen.
Um die 3000 Ausdrücke haben einen erkennbar emotionalen Hintergrund, die anderen bedeuten nichts. Viele sind kulturspezifisch, einige gelten überall. Angst sieht überall gleich aus, selbst wenn sie verschiedene Ursachen hat. Glückliche Menschen kombinieren die Aktionseinheiten Nr. 6 und Nr. 12. Sie zeigen ein echtes Lächeln. Dieses unterscheidet sich klar von den sage und schreibe 17 anderen Varianten des Lächelns, die Ekman und Friesen auflisten. Das Besondere ist das Senken der äußeren Partie der Augenbrauen. Die Augen »lachen mit«, wie man sagt. Man nennt es nach dem französischen Experimentator das »Duchenne-Lächeln«. Als Zeichen der Minimalsympathie begegnen wir ihm in jeder Kultur. Kein Wunder, dass der Gesichtsatlas auf großes Interesse stößt. Schauspieler leihen sich den Folianten aus, Werbeagenturen ordern ihn. Die Firma Pixar benutzt den Atlas 1995 für »Toy Story«, den ersten abendfüllenden Film, der vollständig am Computer erstellt wird.
Ekman und seine Mannschaft machen weitere Entdeckungen. Die Gesichtsleser finden »Mikroemotionen«, Gefühlsausdrücke, die blitzschnell über unsere Gesichter huschen. Ekman zeigt, dass man Menschen, die bei einem Streit völlig die Kontrolle verlieren, das schon vorher für Bruchteile von Sekunden ansieht. Das Team entdeckt durch Fotoanalyse sogar eine spezielle Mimik, die Attentätern kurz vor der Tat für einen Wimpernschlag ins Gesicht geschrieben steht. Beide Mikroemotionen finden sie in vielen Kulturen. Wahrscheinlich gibt es sie in allen.
Ekman und sein Team widmen sich auch den verräterischen Spuren in Gesichtern von Menschen, die lügen. Kein Wunder also, dass sie Anfragen von Zollfahndern, Geheimdiensten und Antiterroreinheiten erhalten, die Gesichter lesen lernen wollen. Die Wissenschaftler schulen Tausende von Sicherheitskräften und träumen schon vom automatischen Lügendetektor. Doch Paul Ekman behält einen kühlen Kopf: Um einen Lügner zu entlarven, reicht nicht der Blick ins Gesicht. Wichtig ist auch
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