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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
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gewaltsame Konflikte verwickelt und beantworteten Gewalt mit Gewalt. Kurz nach dem Kontakt mit westlichen Gesellschaften bauten sie ihre Kultur um und wurden entschieden friedlicher. Sie stellten ihren internen Kleinkrieg und die Kriege gegen Nachbargruppen ein. Sie entwickelten Normen des gewaltfreien Umgangs untereinander, und sie brachten ihren Kindern den Wert des Friedens bei. In der Geschichte gibt es eine Vielzahl von Beispielen eines langfristigen Wandels vom Krieg zum Frieden. Waren die Wikinger vor 1000 Jahren als Gewaltmenschen an den Küsten Europas gefürchtet, gilt Norwegen heute als eines der gewaltfreiesten Länder der ganzen Welt. Da ist es passend, dass hier der Friedensnobelpreis verliehen wird.
    Es gibt also durchaus große Gesellschaften, die es geschafft haben, weitgehend ohne Mord und Krieg auszukommen. In Norwegen gibt es fast keine Tötungsdelikte. Eine ganze Reihe von Staaten hat schon lange keinen Krieg mehr erleiden müssen: Schweden seit 170 Jahren, die Schweiz seit fast 200 Jahren und Island sogar seit 700 Jahren. Bei der Schweiz und Island könnte man meinen, die gewollte oder geografische Isolation sei der Grund für diese Rekord-Friedenszeit und sie seien damit Einzelfälle ohne Vorbildfunktion. Aber immerhin haben 20 Staaten Perioden von mindestens 100 kriegsfreien Jahren erlebt. Einzelne Länder haben sogar ihr Militär abgeschafft, zum Beispiel Costa Rica.
    Nun kann man die kleinen konfliktscheuen Gesellschaften nicht einfach als Modelle für die Organisation des Miteinanders der heutigen Großgesellschaften heranziehen. Das wäre naiv. Jede Gesellschaft hat ihre Besonderheiten, das zeigt schon der Vergleich der Semai mit den Fipa. Das »Konfliktvermeidungsmanagement« muss auf die jeweiligen Lebensbedingungen abgestimmt sein. Was uns diese Gruppen aber klar vor Augen führen, ist die Tatsache, dass Frieden immer durch Maßnahmen gesichert werden muss. Frieden bekommt man nicht geschenkt, er muss aktiv gemacht werden. Und diese Gesellschaften zeigen uns, dass man Kindern aktiv soziale Werte beibringen kann. Sie mahnen uns, dies von Anfang an, kontinuierlich und konsequent zu tun.
    Frieden ist nicht der Naturzustand glücklicher Gesellschaften. Er fällt nicht vom Himmel. Auch in nichtindustriellen Gesellschaften muss er aktiv hergestellt werden. Dauerhaften Frieden gilt es nur dann, wenn es ausdrücklich friedensstiftende Mechanismen gibt. Die heutigen Länder, in denen es wenig Gewalt gibt, wie etwa Norwegen, haben das nur durch einen ganzen Kranz von Maßnahmen geschafft, der von Gesetzen auf Landesebene bis zum alltäglichen Umgang im Kindergarten reicht. Die Semai, die Fipa und andere friedliche Gesellschaften geben uns keine Patentrezepte, aber sie können uns motivieren und inspirieren. Sie machen Hoffnung, dass Frieden im wahrsten Sinn des Wortes machbar ist.

Was gilt jetzt? Spiel und Sport als eigene Welten
    Ich sitze in meinem Arbeitszimmer in Ujung Pandang über Interviewnotizen für meine Feldforschung. Es ist mal wieder 30 Grad heiß, und der Ventilator kämpft vergeblich gegen die Hitze im Zimmer an. Davon unbeeinträchtigt lärmen draußen auf dem schmalen Weg fröhlich ein paar kleine Jungs. Ich beachte sie nicht weiter. Auf den staubigen Wegen und unbebauten Grundstücken hier wird viel Fußball und Badminton gespielt. Beim Kicken mache ich gerne mal mit, aber jetzt muss ich weiter über meinen Daten brüten. Als ich einen leisen Singsang höre, der mir vertraut vorkommt, sehe ich doch aus dem Fenster. Die drei Jungen kicken nicht mehr, sie spielen Freitagsgebet. Gegenüber wohnen zwar Studenten aus dem Torajaland, also Christen, aber in der multireligiösen Gesellschaft Indonesiens dominiert der Islam. Einer der Jungen stellt das Minarett einer Moschee dar, der andere klettert auf seine Schultern. Er ist der Rufer, der Muezzin. Ein dritter spielt die Gemeinde. Demütig wirft er sich vor den beiden anderen zu Boden. Das Treiben findet allerdings schnell ein Ende. Jeder will Muezzin sein und keiner das Minarett. Einer ist hingefallen, es gibt Streit. »Ich mag nicht mehr!« Sie gehen nach Hause. Nachmittags kommen sie wieder. Jetzt spielen sie Verstecken.
    Wir alle spielen
    Überall auf der Welt begeben sich Menschen aus reiner Freude in eine Sphäre, in der andere Regeln gelten als im normalen Leben. Sie simulieren eine geregelte Parallelwelt. Das Spielen ist eine eminent menschliche Betätigung. Friedrich Schiller ging so weit zu behaupten: »Der Mensch spielt

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