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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
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vom Sport passt die Tatsache, dass der Verlierer getötet wurde, nur schwer. Spiel, Sport oder Ritual? Auch Archäologen können die Spieler nicht mehr fragen. Aus ihrer Kenntnis der altmexikanischen Religionen heraus vermuten sie, das tlachtli ein Ritual war. Die beteiligten aztekischen Elitespieler haben ihr »Spiel« vermutlich als ernsten und politisch bedeutsamen Kult verstanden. Vermutlich. Wir wissen es nicht, und auch die Spieler, die ein ähnliches Spiel heute noch spielen, etwa in Copán in Honduras, dringen nicht zu dem vor, was die Azteken darüber dachten.
    Umgekehrt übersieht man aufgrund der Fremdheit eines Spiels leicht die bestehenden Ähnlichkeiten. Mahjongg , ein ursprünglich chinesisches Spiel, ist das beliebteste Spiel in Ostasien und auch in Südostasien verbreitet. Vier Mitspieler tragen dabei eine Mauer aus Spielsteinen ab, deren Zahl sich zwischen 136 und 144 bewegt. Mahjongg sieht sehr anders aus als alle Spiele, die wir aus Europa kennen. Erst wenn wir uns die Regeln anschauen, erkennen wir die Ähnlichkeiten zu Spielen wie Canasta und Rommé. Aus westlicher Sicht müssen wir erst begreifen, dass man ein Kartenspiel auch mit Steinen spielen kann.
    Familienähnlichkeiten
    Die Vielfalt der Spiele ist so groß, dass man als Humanwissenschaftler verzweifeln könnte. Es wundert nicht, dass der alte Universalienstreit der Philosophie, ob es allgemeine Begriffe geben kann, auch anhand von Spielen diskutiert wurde. Ludwig Wittgenstein, Meister der Sprach- und Logikphilosophie und Sohn eines erfolgreichen Industriellen, verdeutlicht an Spielen, was er unter »Familienähnlichkeit« versteht. Spiele, so sagt er, gleichen sich nur darin, dass sie Spiele sind. »Spiel« ist weder bloß ein Wort, noch verweist es auf eine bestimmte Eigenschaft, die alle Spiele gemeinsam haben. Er sagt, dass man sich »Beulen im Verstand holt«, wenn man Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele hierarchisch klassifizieren wolle. Sie sind nur über sogenannte Familienähnlichkeiten miteinander verwandt. Spiele bilden eine »Familie«, deren Mitglieder überlappende und einander kreuzende Ähnlichkeiten aufweisen. Was sie nicht haben, ist ein einzelnes, universales, für alle Spiele zutreffendes Merkmal. Das hat Verhaltensforscher, Psychologen und andere Forscher nicht davon abgehalten, nach solchen wesentlichen Merkmalen zu suchen. Eine wichtige Rolle spielen hierbei Ethnologen, weil sie das gesamte Spektrum von Spielen dokumentiert haben.
    Spiele gibt es überall auf der Welt. Gleichzeitig zeigen sie eine ungeheure Vielfalt. Wissenschaftler versuchen, die Bandbreite durch Bildung grober Typen von Spielen zu bändigen. Zunächst gibt es Selbstspiele. Ein Kind spielt für sich. Eine Pfütze, einen Plastikbecher, mehr braucht es nicht. Dann gibt es Nachahmungsspiele wie das Minarettspiel der drei Jungen in Ujung Pandang. Eine dritte Form sind Wettkampfspiele, die oft in Mannschaften ausgefochten werden. Hier wetteifern rivalisierende Gruppen einer Kultur miteinander. Das können Altersgruppen, Geschlechtergruppen oder Verwandtschaftsgruppen sein. Spielerisches verbindet sich mit Sport. Weltweit verbreitet sind Glücksspiele und Maskierungsspiele, etwa wenn Kinder König und Königin spielen.
    Schließlich gibt es in vielen Kulturen ekstatische oder auch »rauschhafte« Spiele. Kinder drehen sich so lange, bis es sich ihnen im Kopf dreht. Sie werden orientierungslos und müssen von anderen aufgefangen werden. Erwachsene bringen sich durch Tanzen und Drogen in Ausnahmezustände. Solche Spiele machen es möglich, aus der sozialen Ordnung auszuscheren, wenn auch nur zeitweise. Sie bieten im kleinen Format das, was Umkehrriten im großen Maßstab leisten. Den echten rheinischen Karneval gibt es, so würde ich sagen, nur in Köln. Ähnliche Umkehrriten finden wir aber in sehr vielen Kulturen. Die soziale Ordnung wird auf den Kopf gestellt. Der Untertan wird zum König, Männer verwandeln sich in Frauen, Frauen dominieren die Männer. Aber auch im Karneval gelten strenge Regeln, nicht alles ist erlaubt. Umkehrriten zeigen ein weiteres Merkmal, das längst nicht alle, aber viele Spiele haben: den kultischen Aspekt. Spiel grenzt hier an Religion.
    Insgesamt reicht das Spektrum von banalen Würfel-, Brett- und Geschicklichkeitsspielen und bestenfalls tolerierten Glücksspielen über Spiele, in denen man Meisterschaft erlangen kann, bis hin zu Kunstformen des Spiels in Musik und Theater. Letztere wurden sogar durch eigene

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