Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« Wir fragen heute erst einmal, wo es tatsächlich Spiele gibt. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass in allen Kulturen gespielt wird. Schließlich gibt es durchaus Tätigkeiten, die dem Spiel verwandt sind, die wir aber nicht in allen Gesellschaften finden.
So ist zum Beispiel die Kunstform des Theaters in islamischen Kulturen kaum verbreitet. Als arabische Reisende vor einigen Jahrhunderten eine chinesische Theateraufführung besuchten, waren sie sich einig, dass die Geschichte zwar komplex sei, ein Sprecher jedoch gereicht hätte, um sie zu erzählen. Sie hatten kein Konzept von Theater. Der berühmte Satz des berühmten Soziologen Erwin Goffman »Wir alle spielen Theater« trifft als Bild für den Alltag aller Menschen zu, nicht aber wörtlich für alle Kulturen.
Frühe Ethnologen meinten, Indianerkinder spielten so gut wie gar nicht, weil sie so früh zur ernsten Arbeit herangezogen wurden. Mittlerweile wissen wir, dass die Menschen auf der ganzen Welt beginnen zu spielen, sobald der Kampf ums Überleben das zulässt. Dafür schaffen sie sich Freiräume – auch inmitten eines harten Alltags oder in Krisengebieten. Im Krieg spielen nicht nur die Soldaten Karten, sobald sie aus der Schusslinie sind; auch die Kinder spielen. Weltweit müssen Kinder arbeiten, aber wenn man sie genau dabei beobachtet, sieht man, dass sie dazwischen versuchen, zu spielen oder die Arbeit selbst zum Spiel zu machen.
Überall spielen Kinder Fangen. In allen Kulturen gibt es das Versteckspiel. Liebende verstecken sich spielerisch, manche Menschen tun das bis ins hohe Alter gern. In allen Kulturen gibt es Kinder und Erwachsene, die mit Bällen spielen. Es ist sekundär, ob das industriell gefertigte Fußbälle sind, aus alten Lappen selbstgebastelte Gebilde, ob es ein Kieselstein ist … oder eine Kokosnuss, mit der man allerdings nur einmal kickt! Steine, Stöcke, Muscheln, Blätter, Nüsse und Melonen werden weltweit als Spielzeug genutzt. Mit Bällen und Kreiseln spielen überall Jungen und Mädchen gleichermaßen. In allen Kulturen wird mit Puppen gespielt, und überall sind es vor allem die Mädchen, die Freude daran haben. Waffen im Miniaturformat waren schon immer ein globaler Renner. Die Dinge, mit denen Erwachsene spielen, tanzen oder Sport treiben, sind oft Mini-Ausführungen von Arbeitsgeräten, etwa Paddel, Speere und Schilde in leichter Ausführung.
Eigene Welten in der Welt
So weit, so eindeutig. Aber was ist das Gemeinsame all dieser Betätigungen? Die Grenze zwischen Arbeit und Spiel, Sport und Unterhaltung ist in den meisten Gesellschaften nicht strikt. Und wo liegen die Grenzen zu anderen Bereichen wie Kultur oder Kult? Spielerische Elemente sehen wir auch in anderen Bereichen des Lebens, im Sport, in der Dichtung, in der Kunst, im religiösen Kult und in den Wissenschaften. In vielen Kulturen sind ritualisierte Scherzbeziehungen bekannt. Man neckt sich mit bestimmten Verwandten. Das ist kein Spiel im engeren Sinn, sondern ein Alltagsritual, aber es hat eine klar spielerische Form. Die Frage nach dem Verbindenden ist weit schwerer zu beantworten. Haben die drei indonesischen Jungen bloß gespielt, oder war das schon Theater? Das Gemeinsame ist die Schaffung einer eigenen Welt, einer Welt in der Welt. Spiel ist das Gegenteil der alltäglichen Ordnung, aber auch das Gegenteil von Anarchie. Im Spielen wird eine besondere Sphäre geschaffen, in der andere Regeln gelten als im sonstigen Leben.
Wir können Spiele oft nur als Spiele erkennen, wenn wir ihren Sinn verstehen. Und die Bedeutung bekommt man manchmal nur heraus, indem man mit den Spielern spricht oder selbst mitspielt. Leider können wir die Azteken im alten Mexiko nicht mehr fragen, was tlachtli ist. Aztekische Adlige spielten in einem eigens für diesen Wettbewerb gebauten Gebäude mit einem Hartgummiball. Das Ziel der beiden Spieler war es, den Ball durch zwei an der Mauer befestigte Ringe zu befördern. Die Regel verlangte, den Ball nur mit Ellbogen, Hüfte oder Oberschenkel zu spielen. Die Ringe waren waagerecht aufgehängt, was es ausgesprochen schwierig machte, den schweren Ball hindurchzuschießen. Die Regeln muten uns im Einzelnen fremd an, wir meinen aber sofort eine Art »aztekisches Basketball« zu erkennen. Damit überschätzen wir allerdings die Ähnlichkeiten – eine Gefahr, die immer besteht, wenn man Universales vermutet. Denn in unser Bild
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