Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
bekannten Sprachen finden lassen: »wann«, »jetzt«, »nach«, »vorher«, »eine lange Zeit«, »eine kurze Zeit«, »für einige Zeit« und »Moment«. Beim Vergleich von Zeitkonzepten ist die Unterscheidung zwischen Alltagsvorstellungen von Zeit, wo Dauer im Mittelpunkt steht, und spezielleren Zeitvorstellungen zur Geschichte in Ritualen, Mythen oder Kosmologien entscheidend. Man konnte bislang keine Kultur finden, in der die Zeit im alltäglichen Handeln nicht als Pfeil gedacht wird, auch wenn es daneben zyklische oder andere Konzepte gibt. Vermutlich sind lineare wie zyklische Zeitkonzepte universal. Für beide gibt es Vorgaben in der alltäglichen Erfahrungswelt.
Whorf hatte unter anderem behauptet, dass die Hopi die Zeit nicht mit räumlichen Wörtern umschreiben. Ausdrücke wie »eine lange Zeit« gebe es bei ihnen schlichtweg nicht. Auch das wurde von Malotki widerlegt. In allen bekannten Kulturen werden Zeitphänomene mit Hilfe raumbezogener Ausdrücke beschrieben, zum Beispiel »im März«, »vor dem Essen« und »nach dem Krieg«. Entgegen den Thesen von Whorf nutzen wohl sämtliche bekannten Sprachen räumliche Wörter metaphorisch für das Ausdrücken von Zeit. Dies konnte in einer Studie von Zeitadverbien in 50 Sprachen eines weltweiten Samples gezeigt werden. Die These fundamentaler Unterschiede in der Auffassung von Zeit kann damit getrost zu den Akten gelegt werden.
Kulturschock ist Temposchock
Der Ethnologe James Spradley und der Soziologe Mark Phillips haben eine Liste mit 33 Problemen bei der kulturellen Anpassung im Ausland erstellt. Darunter finden sich Klassiker wie fremdes Essen, Sauberkeit und die Bevölkerungsdichte. Diese Liste legten sie einer Gruppe zurückgekehrter Entwicklungshelfer des amerikanischen Peace Corps vor. Die sollten sie nach dem Aufwand anordnen, der ihnen bei der kulturellen Anpassung abverlangt worden war. Auf Platz eins landeten die Schwierigkeiten mit der fremden Sprache, Platz zwei und drei belegten Zeitthemen: »das allgemeine Tempo des Lebens im Gastland«, dicht gefolgt von dem Problem, »wie pünktlich die meisten Menschen sind«. Das Phänomen des Kulturschocks ist häufig vor allem ein Problem mit einem anderen Umgang mit Zeit. Missverständnisse über Zeit sind ein klassisches Thema in den Kulturratgebern für gestresste westliche Kaufleute. In Trainingskursen für Manager vor ihrem Auslandseinsatz ist Zeit ein Standardthema. Wenn Kulturen nicht synchron schwingen, macht das Probleme vor allem in der Kommunikation.
Auch in den dicken Traveller-Handbüchern für Rucksackreisende dürfen solche Tipps nicht fehlen. Eine ganze Kulturschockvermeidungsindustrie widmet sich Zeitproblemen zwischen den Kulturen. Ein Kultur-Knigge für Indonesien spiegelt den Ärger der Autoren wider: » Jam karet ist eine opportunistische Redewendung, mit der man für Terminschlampereien um Vergebung bittet.« Ich erinnere mich an viele Gespräche mit westlichen Kaufleuten, Ingenieuren oder Managern, die in Indonesien arbeiten. Diese Expatriates schätzen die Gelassenheit des Lebens und Arbeitens in Indonesien. Sie denken mit Unbehagen daran, dass sie bei der Rückkehr in ihre Firmen wieder mit »Zeitmanagement«, Just-in-time -Produktion, der Verringerung von Pufferzeiten und anderem Stress durch den modernen Zeittakt zu tun haben werden. Denken sie an den ständigen Veränderungsdruck nach dem Motto: »Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen«, würden sie am liebsten in Indonesien bleiben.
Gleichzeitig haben sie massive Probleme mit der Gummizeit, klagen unisono über Unpünktlichkeit. Hausangestellte sind ein konstantes Ärgernis, denn sie dehnen das Gummiband besonders weit. Wenn deren eigene Familie ein Notsignal sendet, wird dagegen ruck, zuck gehandelt. Ist jemand aus der Familie krank, verletzt oder gestorben, wird sofort gepackt, oft ohne den verzweifelten Arbeitgeber zu informieren. Das ist fast jeder ausländischen Familie in Indonesien passiert.
Wir stehen vor der Rückreise. Nach einem Jahr müssen wir zurück nach Deutschland. Meine Forschungsgenehmigung ist abgelaufen, und Maria ist am Ende ihres Erziehungsjahrs. Die vergangenen Wochen waren etwas stressig und ziemlich emotional. Ich habe die letzten Interviews geführt und meine Felddaten komplettiert. Wir haben sehr viele Leute besucht, die uns alle ausführlich verabschieden wollten. Wir beteuern, dass wir bald wiederkommen. Ganz schön aufreibend. Nun planen wir unsere Rückreise. Unsere
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