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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
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postindustriellen Gesellschaft nicht alles beschleunigen lässt. Manche Dinge brauchen einfach Zeit, »Ereigniszeit«. Wenn Vertrauen zwischen Geschäftspartnern entstehen soll, dauert das. Entscheidungen in Firmen brauchen Zeit, wenn sie wirklich gut sein sollen. Die Regelung von Konflikten geht selten ruck, zuck. Die fixen Jungmanager in unserer schnellen Kultur entdecken das sehr langsam. Da können wir von anderen Kulturen lernen.
    Michael sieht nicht nur den engen Zeittakt in der Wirtschaft, sondern auch in unserer Gesellschaft. Er meint, dass auch unser Privatleben durch mehr Gelassenheit gewinnen kann. Entschleunigung täte uns allen gut. Eines Tages entdeckt er per Zufall den »Verein zur Verzögerung der Zeit«. Die 1990 von Professor Peter Heintel gegründete und im geruhsamen Klagenfurt ansässige Organisation setzt sich für ein ruhigeres Leben ein. Um wieder Zeit für sich zu gewinnen und der Beschleunigung zu entkommen, müsse man vor allem »Nein« sagen können. Immerhin haben schon über 1000 Mitglieder »Nein« zum ewigen Zeitdruck gesagt. Michael will auch gleich Mitglied werden, »zeitnah«, wie man heute sagt. Umgehend besorgt er sich das Anmeldeformular und schickt es postwendend ein. Er bekommt auch eine Bestätigung – nach einem halben Jahr!

Riskante Rituale Initiationsriten bei uns und überall
    Köln, 13. November 1995. Die Tür geht auf, ich werde hereingebeten in den großen feierlichen Raumder »Universität zu Köln«. Etwa 120 Professoren stehen auf und applaudieren mir. Es ist ein bedeckter Tag in der Domstadt. Ich habe heute meinen Habilitationsvortrag gehalten, und die Philosophische Fakultät hat ihn offensichtlich für gut befunden. Damit liegt der wichtigste Schritt in einem komplexen Aufnahmeritual hinter mir. Bislang war ich eher der kleine Lehrling, der manchmal etwas zu vorlaut ist. Mit der Aufnahme in die Akademie werde ich in den Stand einer Autorität erhoben.
    Schon die Formulierungen zeigen, wer hier oben und wer unten ist. Der Kandidat »wird habilitiert« von der Fakultät der Universität. Manche Jungforscher sind unvorsichtig und sagen »Ich habilitiere bald« oder »Ich will mich habilitieren«. Beides verstößt gegen die akademischen Sitten. Man darf das Wort nur transitiv verwenden. Der sogenannte interne Vortrag steht am Ende eines mehrjährigen Weges, er ist aber noch nicht der letzte Schritt, und bis zum Schluss ist Bescheidenheit angesagt. Viele scheitern an den Hürden unterwegs. Ich habe es bis jetzt glücklich überstanden, sonst hätten die ehrwürdigen Professoren nicht geklatscht, beziehungsweise ich wäre gar nicht bis zu diesem entscheidenden Akt gekommen. Das ist jetzt rund 15 Jahre her, aber ich erinnere mich noch so genau, als wäre es gestern gewesen.
    Alice Springs, Northern Territories, Zentralaustralien, 13. November 1895. Auf der anderen Seite der Erde, 100 Jahre früher, lebt Romo. Er ist gerade 15 Jahre alt und ein Aranda. Die 25000 Menschen leben in der Mitte des weiten Kontinents und sind wohl die bekannteste Gruppe der australischen Aborigines. Berühmt wurden sie für ihre Vorstellung von der »Traumzeit«, die ewig mythische Zeit, in der nach ihrem Glauben Kulturheroen die Erde erschaffen haben. Die realen Zeiten ändern sich. Seit einem Jahr lebt ein lutherischer Missionar, Carl Strehlow, in der Missionsstation Hermannsburg. Die Missionierung zeigt ihre Wirkungen. Was sich aber seit Menschengedenken nicht geändert hat, ist die Reifefeier, die für Jungen und Mädchen durchgeführt wird. Und der Geistliche aus der Uckermark hat sie in seinem siebenbändigen Werk über die Kultur der australischen Ureinwohner für die Nachwelt überliefert.
    Das Ritual wird Romo das Tor zum erwachsenen Aranda-Leben öffnen. Entsprechend gespannt erwartet er, was da kommt. Durch seine Initiation wird er vom Jungen zum Mann. Er darf heiraten und die geheimen Lieder und Riten lernen. Bisher waren ihm die heiligen Objekte und geheimen Orte unbekannt. Er war also ausgeschlossen vom wichtigsten Wissen seiner Kultur. Erst jetzt wird er etwas über die Traumzeit erfahren. Also freut er sich auf seine Einweihung, auch wenn er weiß, dass es hart wird. Er muss zwei Ritualfolgen durchlaufen, die mehrere Jahre auseinanderliegen.
    Heute beginnt die erste mit dem »Zum-Himmel-geworfen-Werden«. Verwandte seiner Mutter führen Romo von seiner Familie weg zu den älteren Männern. Die bemalen ihn erst einmal. Dann greifen sie ihn, werfen ihn mehrmals hoch in die Luft

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