Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
immer hegend mit der Natur umgehen – ganz anders als der »böse weiße Mann«. Wir wissen heute, dass die Wirklichkeit anders aussah. Die Bisonherden waren schon weitgehend massakriert, bevor die Siedler und Cowboys kamen. Die bunten Indianerbücher für Kinder und die Esoterikliteratur in den Wohlfühlecken unserer Buchhandlungen geben solche Mythen aber gerne weiter. Aus diesem Grund ist auch der Begriff »Naturvölker« so populär, obwohl kein Ethnologe ihn heute mehr verwendet.
Das Zerrbild der entspannten »Naturvölker« ist für gehetzte Stadtmenschen attraktiv. Es ist aber so überzogen, dass es falsch ist. Diese Kulturen leben nicht im Zustand paradiesischer Zeitlosigkeit. Zunächst einmal spricht der Mythos diesen Völkern ab, dass sie sich wandeln, dass sie eine eigene Geschichte haben. Vor 100 Jahren haben selbst Ethnologen noch geglaubt, dass es Völker ohne Geschichte gebe. Man nannte sie »Völker der ewigen Wiederkehr« und dachte, sie würden von sich aus in einer statischen Tradition verharren, ihre Lebensweise würde sich nur durch Kontakt mit den progressiven westlichen Kulturen wandeln. Noch heute redet man gern von »traditionellen« Kulturen und stellt sie dem dynamischen Westen gegenüber. Wir wissen es eigentlich schon lange besser. Alle Kulturen wandeln sich ständig. Außerdem unterschlägt der Mythos von der paradiesischen Zeitvergessenheit die Tatsache, dass in diesen Kulturen die Saat ausgebracht und die Ernte gesichert werden muss, dass Netze eingeholt und Familien ernährt werden müssen. Die »Naturvölker« sind nicht im Dauerurlaub.
Was sagt die heutige Forschung zu Whorfs Thesen? Ekkehart Malotki, ein deutschstämmiger Sprachwissenschaftler in den USA, hat die Zeitvorstellungen der Hopi einer erneuten Analyse unterzogen. Da Whorfs Thesen in der Diskussion fast immer in zugespitzter Form wiedergegeben wurden, schaute er sich zunächst einmal die Aussagen des Altmeisters gründlich an. Dabei wurde ihm klar, dass Whorf das westliche Zeitkonzept wesentlich genauer beschrieben hatte als das der Hopi. Malotki ging in seiner Darstellung deshalb sehr viel mehr ins Detail, als Whorf das getan hatte. Weder Whorf noch die Nachbeter seiner Thesen hatten sich ausführlich mit der Grammatik und mit Texten der Hopi befasst und genaue Wörterbücher erstellt.
Malotki beginnt seine Neuanalyse in den frühen 1970er Jahren. Diese Detailarbeit braucht Zeit, und Malotki nimmt sie sich. Er ist ein engagierter Forscher und setzt sich auch außerhalb der reinen Wissenschaft für die Hopi ein. Neben Fachaufsätzen veröffentlicht er ihre Märchen, ihre Felsbilder und schreibt Kinderbücher über sie. Er berät Filmteams, zum Beispiel für den wunderbaren Streifen »Koyaanisquatsi« von Godfrey Reggio aus dem Jahr 1982, der völlig ohne Sprache und in extremer Langsamkeit die Entfremdung der Menschen von der Natur darstellt. 1983 veröffentlicht er seine Resultate schließlich. Auf der ersten Seite seines Buchs zitiert er einen Satz der Hopi, übersetzt ihn Wort für Wort und formuliert ihn schließlich in grammatisch korrektem Englisch so: »Then indeed, the following day, quite early in the morning at the hour when people pray to the sun, around that time he woke up the girl again.« So viel zur Zeitlosigkeit des Denkens der Hopi! Das sollte eigentlich reichen, um Whorfs Thesen als unhaltbar zu entlarven.
Malotki ärgert sich aber offenbar über die Kraft dieses Mythos. Als fleißiger Wissenschaftler zerlegt er auf 677 eng bedruckten Seiten die Aussagen von Whorf Stück für Stück. Die Hopi kennen Zeiteinheiten, wie Tag, Teile des Tags, Wochen, Monate. Sie haben Wörter für »gestern« und »morgen«. Sie kennen auch die Messung von Zeit in Form eines Himmelskalenders. Es gibt Ausdrücke für »alt«, »schnell«, »lange Zeit«, »beendet«. Nun hatte Whorf den Hopi ja nicht jeden Sinn für Zeit abgesprochen, aber auch seine Aussagen, dass es keine Objektivierung der Zeit gebe, sind falsch, genauso wie sein Befund, die Hopi hätten keine Raummetaphern für zeitliche Prozesse. Die Hopi sagen durchaus »zehn Tage«, und sie sagen solche Wörter nicht etwa erst, seit sie Kontakt mit westlichen Menschen haben. Diese Ausdrücke lassen sich nämlich in Texten finden, die lange vor Whorf geschrieben wurden. Malotki, ganz Detektiv, fand sogar in einem Wörterbuch, das Whorf selbst erstellt, aber nicht veröffentlicht hatte, ein Raum-Wort, das Zeit ausdrückt.
Malotki zeigt, dass die Hopi
Weitere Kostenlose Bücher