Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
Phase kann durchaus einige Wochen dauern. Die Ältesten weihen den kleinen Jungen bei den Inuit in die Grundlagen des Überlebens ein, in die Techniken der Robbenjagd oder des Geschlechtsverkehrs. In Köln zeigen die »alten Herren« dem neuen Burschenschaftsmitglied, wo es beim »Corps Romania« langgeht. Und die anderen Corpsstudenten, die das schon hinter sich haben, zeigen dem Greenhorn seine Grenzen beim Trinken. Der hängt dann mitternachts im Keller über dem fest installierten Kotzbecken.
Als dritter Schritt steht im Drehbuch des Passagerituals die öffentliche Wiedereingliederung in das normale Leben und ein überschwängliches Fest. Ob bei der Beschneidung im Busch, bei der Hochzeit oder der Habilitation, am Ende sind immer alle da. Es wird zusammen gegessen und getrunken.
Diese Reifefeiern sind für die Gesellschaft oder eine ihrer Subkulturen so wichtig wie für den Einzelnen. Oft werden mehrere Menschen gemeinsam »initiiert« und bilden dann ihr Leben lang eine Gruppe. Ein klassisches Beispiel sind sogenannte Generationsklassen. Das sind etwa Männer durchaus unterschiedlichen Alters, die gemeinsam eine Probe bestanden haben, eine Aufgabe gemeistert haben. Das kann die zusammen überstandene Beschneidung sein oder ein riskanter Überfall auf die Nachbargruppe. Den Initianden werden die Regeln einer Gesellschaft oder einer Subkultur beigebracht. Für die anderen, die dabei sind, bieten Passagerituale eine gute Gelegenheit, ihre Werte gemeinschaftlich zu bekräftigen. Beides fördert die Solidarität und dient dem Zusammenleben.
Übergangsriten sind soziale Dramen. Sie inszenieren zentrale Werte einer Gesellschaft und sind für den Einzelnen aufregend und eindrücklich. Schmerzen und Mutproben gehören dazu. Der Rücken wird tätowiert, die Zunge durchbohrt, die Zähne gefeilt, der Penis beschnitten. Und der Jugendliche weiß oft nicht, was als Nächstes kommt. Die Unsicherheit wird von denen, die schon eingeweiht sind, wissentlich geschürt. Furcht ist fester Bestandteil solcher Riten. Die Hauptperson soll eine neue Identität übernehmen und dafür die alte ablegen. Romo kann ein Lied davon singen. Deshalb sind in allen Kulturen Menschen aus der Verwandtschaft oder gute Bekannte dabei. Vertraute Menschen als Begleiter erleichtern dem Initianden seinen schweren Gang. Gleichzeitig machen die Begleiter den Übergang öffentlich.
Übergangsriten an der Universität
Auch das akademische Passageritual, das ich durchlebt habe, dauert in der Regel mehrere Jahre und bringt gleich eine ganze Kaskade von Verunsicherungen mit sich. Die Habilitation ist ein Einweihungsritus, der mich in den Stand erhebt, an einer Universität zu unterrichten. Und sie ist ein sehr deutsches Ritual. Es gibt sie auch in Österreich, der Schweiz, in Polen, der Slowakei, in Ungarn, der Ukraine und in Russland, aber sonst nicht in Europa. In den außereuropäischen Ländern hat das Verfahren nie Fuß gefasst, auch nicht in den USA. In abgemilderter Form finden sich diese Prozeduren jedoch an allen Hochschulen dieser Welt anlässlich der Doktorprüfungen.
Heutzutage schreibt eine ordentlich gedruckte und juristisch abgesicherte Habilitationsordnung vor, welche Schritte in welcher Reihenfolge zu erledigen sind. Aber nicht nur die schriftlosen Aranda vor 100 Jahren, sondern auch wir leben in einer Kultur, in der vieles mündlich ist. Wichtig ist die Kommission, die mein Habilitationsverfahren durchführt. Die Wahl der Mitglieder kann das Endergebnis vorherbestimmen. Das sind in diesem Falle sieben Herren, die ich nicht kenne. Sie kommen fast alle aus anderen Disziplinen, und man weiß nie, ob sie dem Fach des »Habilitanden«, in diesem Fall der Ethnologie, gewogen sind. Da spielt das Image des Fachs in der jeweiligen Universität und die Reputation der hiesigen Kollegen immer mit herein. Alles schwer greifbar, aber von großer Tragweite.
Ein bedeutender Schritt im Drehbuch der Habilitation ist der interne Vortrag, von dessen glücklichem Ausgang ich bereits berichtet habe. Anwesend sind nur die bereits »Eingeweihten«, nämlich die Mitglieder der Philosophischen Fakultät, allerdings möglichst vollzählig. Einige Wochen zuvor wurde ich »gebeten«, drei Themen für den Vortrag vorzuschlagen. Eine Woche vor dem Termin wird mir dann mitgeteilt, für welches Thema sich die ehrwürdige Kommission entschieden hat. Eine klassische Prüfungssituation. Die Themen dürfen sich nicht mit dem Thema meiner Habilitationsforschung decken. Mehr
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