Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
wenig besser.
Die öffentlichen Feiern bei Ritualen sind wichtig. Da reisen alle von überall her an, vertilgen ganze Viehherden und bleiben eine Mondphase lang. Die öffentliche Bezeugung gehört unablösbar dazu, denn in Ritualen zeigt sich die Gesellschaft ihre eigenen Werte. Selbstbespiegelung kann wichtig sein.
Stufenfolgen, riskante Prüfungsrituale und die Öffentlichkeit kennzeichnen auch die wichtigen Computerspiele unserer Zeit. Jeder »Rangaufstieg« wird bei »Counterstrike« mit virtuellem Geld vergütet. Damit kann man sich Mitstreiter, Fähigkeiten und Waffen besorgen, um den mit jedem neuen Level höheren Schwierigkeitsgrad zu meistern. Passenderweise heißt eine der Denkfabriken, die spezielle Elemente für dieses Spiel entwickelte, Ritual Entertainment . »Massively Multiplayer Online Role-Playing Games« sind die derzeit am meisten gespielten Computerspiele. In fast jedem dieser MMORPG , zu denen auch das berühmte »World of Warcraft« gehört, gibt es ein Level-System. Der Aufstieg erfolgt aufgrund bestandener Herausforderungen. Vor allem am Anfang der Karriere sind das weniger Siege über Mitspieler als Kämpfe gegen große Tiere oder andere starke Wesen, in denen man seine Geschicklichkeit unter Beweis stellt. Das alles findet in einer virtuellen, aber permanenten Öffentlichkeit statt. Wer die rituellen Prüfungen wirklich ernst nimmt, dem reicht das nicht. Die Speerspitze der Bewegung trifft sich seit einiger Zeit regelmäßig bei den Game Conventions . Reale Öffentlichkeit ist bei Ritualen kaum ersetzbar.
»Die Öffentlichkeit«, die bei meiner Antrittsvorlesung erscheint, ist ziemlich übersichtlich. Außer den Mitgliedern der Kommission und einigen Leuten vom Institut sind die stolzen Eltern gekommen und fühlen sich etwas seltsam in dieser fremden Welt. Der Vortrag soll anregend und rhetorisch gut, aber auch für alle verständlich sein. Ein Kunststück, das nur wenige fertigbringen. Denn bei der Vorbereitung wird den Käsehäppchen, dem Orangensaft und dem Sektempfang fast mehr Aufmerksamkeit gewidmet als dem Manuskript. Für Männer besteht Anzugpflicht, für die Jungakademikerin ist das »kleine Schwarze« angesagt. Aber bitte nicht zu klein.
Dieser formelle Vortrag ist ein eigenes Ritual im Ritual. Viele ältere Universitäten verfügen für solche Anlässe über Säle mit gewichtiger Atmosphäre. Bei mir ist es dagegen Hörsaal F. Ich blicke durch schlecht geputzte Fenster auf eine Wand mit Graffiti. Eindrucksvoll wird es trotzdem. »Seine Magnifizenz«, der Rektor, begrüßt alle, »ganz besonders natürlich die Kollegen der Berufungskommission« und mich. Als »Kollegen Antweiler«. Dann verliest er eine Laudatio, in der meine bisherige Laufbahn als einziger Erfolg dargestellt wird. Ich lerne viel über mich dazu! Der Name meines Feldforschungsortes in Indonesien stellt für ihn ganz offensichtlich heute die schwierigste Hürde dar.
Auch bei diesem akademischen Ritual gibt es wieder ungeschriebene Gesetze. Eines besagt, dass nach dem öffentlichen Vortrag nicht diskutiert wird. Stattdessen wird es am Ende ganz feierlich. Die Inszenierung nähert sich ihrem Ende. Im Hintergrund rascheln schon Blumengebinde. Seine »Magnifizenz« steht auf und bittet mich neben sich. Er verkündet mit breitem Lächeln: »Herr Antweiler hat hiermit den letzten Schritt seiner Habilitation erfolgreich hinter sich gebracht.« Ganz vorsichtig holt er die Urkunde aus einer violetten Mappe im Format DIN A2 heraus. Ich sehe, dass sie auf dickem Büttenpapier gedruckt ist. Er liest den lateinischen Text vor, einige Zeilen übersetzt er ins Deutsche. Hier sitzen nicht nur Mitglieder der Philosophischen Fakultät. Er weiß also, dass nur mancher hier im Raum den Text versteht. Was er nicht weiß, ist, dass ich zwar das große Latinum habe, aber nie über eine Vier minus hinausgekommen bin.
Dann Glückwunsch und Blumen. Die Eltern und meine Frau sind glücklich, die Kollegen gratulieren. Ich bin geschafft. Jetzt wird es locker, aber auch der Umtrunk gehört dazu. Gemeinsames Essen und Trinken ist in allen Kulturen ein unverzichtbarer Bestandteil wichtiger Rituale. Draußen vor dem Hörsaal sind ein paar einfache Tische mit Häppchen und Sekt aufgebaut. Vom Prüfling und Vortragenden wandele ich mich zum Gastgeber. Ich bezweifle, dass ich das besonders gut hinbekommen habe, denn ich will nicht mehr viel reden, sondern am liebsten ganz schnell ins Bett.
Strange German Rituals
Alice Springs, Northern
Weitere Kostenlose Bücher