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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
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So werde ich nach meinem Vortrag »herausgebeten«, während die über 100 Herren und wenige Damen hinter verschlossenen Türen über meine Zukunft »beraten«.
    Es liegt in ihrer Hand, mich zurückzuweisen oder herabzustufen. Zur Einführung meines internen Vortrags hat der Sitzungsleiter verkündet, dass ich die Venia Legendi für Allgemeine Ethnologie beantragt habe. Diese Lehrbefugnis besagt, wie breit das Gebiet ist, über das ich später lehren darf. Wenn es dem Gremium gefällt, können sie mir »die Venia «, wie es unter Akademikern heißt, nur für die Ethnologie Südostasiens zugestehen. Das hat nicht nur konkrete Folgen für später, es ist auch peinlich. Nichts macht schneller die Runde, als wenn einem die Venia eingeschränkt wurde oder der Kandidat nochmals antreten muss. Und beides passiert gar nicht so selten. Gilt ein »Befriedigend« bei der Promotion schon fast als Beleidigung, wird hier wirklich scharf geschossen.
    Da kann das Warten draußen im zugigen Gang zum Psychotrip werden. Das Selbstbewusstsein wird auf eine harte Probe gestellt. Aber ich bekomme auch Unterstützung: Meine Kollegen haben im Kaffeeraum des Instituts gespannt gewartet. Sie empfangen mich und fragen neugierig, wie es gelaufen sei. Den glücklichen Ausgang kennen Sie bereits. Nachdem ich nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen wurde, haben mich die Professoren der Uni Köln durch ihren abschließenden Beifall rituell wieder zusammengesetzt. Ich wurde quasi wiedergeboren.
    Grade der Einweihung
    Typisch Ritual wird eine Antrittsvorlesung heute ungefähr so begangen wie vor 100 Jahren. Dieser zweite Auftritt findet einige Monate nach dem ersten internen Vortrag statt und ist, frei von Prüfungsdruck, eher Formsache. Wo sonst fast alles in den Unis per E-Mail abläuft, werden hier schriftliche Einladungen verschickt. Auf der weißen, querformatigen Karte steht, dass sich die Fakultät die Ehre gibt, zu einem öffentlichen Vortrag einzuladen. Für manchen wichtiger als das Thema ist der kleine Vermerk am Rande: »Anschließend wird zum Umtrunk geladen.«
    Die Antrittsvorlesung ist noch nicht der letzte Schritt auf dem Weg zum Professor. Im Zusammenhang der Habilitation markiert sie nicht etwa den Antritt einer Stelle. Das kann Jahre dauern oder auch nie geschehen. Ich trete stattdessen in den Rang eines »Privatdozenten«, im Uni-Jargon »PD«, eine Position so klein, wie die Abkürzung kurz ist. Als Privatdozent werde ich nämlich nichts verdienen. Für die Ehre, dass mich die Philosophische Fakultät habilitiert hat, muss ich ohne Gehalt jedes Semester eine Lehrveranstaltung abhalten.
    Wie der »PD« nicht die letzte Stufe auf dem Weg zum Ziel ist, sind ihm einige Etappen vorausgegangen, die es zu absolvieren galt. Jahre zuvor hatte ich ein anderes Ritual durchlaufen, die Promotion. 1987 erschien meine Doktorarbeit als Buch. Erst nachdem sie publiziert war, durfte ich offiziell den Doktortitel »tragen«. Ich war in die Riege der »Nachwuchsforscher« aufgerückt. Mit der Promotion hatte ich meine Initiation in die Gelehrtenwelt, in die Akademie erhalten. Die Ethnologie ist aber ein stark empirisch ausgerichtetes Fach, und meine »Diss« war eine theoretische Arbeit. Die eigentliche Initiation in den Stamm der Ethnologen brachte meine Feldforschung 1990 bis 1991. Das Ergebnis der Auswertung war eine Habilitationsschrift, die 2001 als auf 532 Seiten gekürztes Buch erschien: Stadtkultur und Mobilität in Süd-Sulawesi. Wohn- und Umzugsentscheidungen im interethnischen Migrationsfeld von Ujung Pandang . Es folgten Bewerbungen in Berufungsverfahren um Lehrstühle – ebenfalls ein hochgradig ritualisiertes Verfahren. Zehn Jahre nach Veröffentlichung der »Diss« habe ich meine Antrittsvorlesung als Professor in Trier gehalten.
    Die typische Stufenfolge mit Zwischenrängen kennzeichnet längere Rituale überall, in ehrwürdigen Traditionen genauso wie im schnellen Cyberspace . Die Oromo sind Getreidebauern und Viehhirten im äthiopischen Hochland und in Kenia. Bis das Christentum und der Islam im 19. Jahrhundert zu ihnen kamen, hatten sie ein besonders ausgetüfteltes Rangsystem. Jede »Karrierestufe« dauerte bei ihnen acht Jahre. Erst nach dem Durchlaufen von fünf Klassen erreichte ein Mann die höchste Stufe der Würde. Nach weiteren 40 Jahren schied er, wenn er dann noch lebte, mit einer großen Feier aus dem Karrieresystem aus. Er war dann übrigens ein Nobody ohne Rechte. Da hat es ein emeritierter Professor doch ein

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