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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
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Territories, Australien, Dezember 1997. Romos Urururenkel Jaco ist ein junger Aranda von jetzt 20 Jahren. Er ist einer der heute rund 50000 Aborigines. Die Aranda-Kultur hat in den 100 Jahren seit Romos Initiation stark unter dem Druck der weißen Gesellschaft gelitten. Heute sind die Aranda aber wieder 25000 Menschen, wie früher. Die meisten von ihnen leben nicht mehr im Outback , sondern am Rande der modernen Gesellschaft und arbeiten in schlecht bezahlten Jobs in Fabriken. Jaco hat seine Eltern früh verloren. Seine Mutter wurde überfahren, der Vater starb im Suff. Er wuchs bei weißen Pflegeeltern in der Stadt Alice Springs auf und wurde nicht initiiert wie viele seiner Freunde.
    In Ethnologiebüchern hat er viel über die Aranda gelesen. Ihn interessieren vor allem ihre frühere Lebensweise als Jäger und Sammler, ihr enormes Wissen über die Natur und ihre mit der Erde verbundene Religion. Bei seinen Pflegeeltern war immer alles auf den Himmel bezogen. Außerdem fasziniert ihn das auf Gleichheit basierende soziale Leben und der Totemismus. Jaco ist stolz auf seine Herkunft und möchte mehr darüber erfahren. Er ist aufgebracht, dass sich in Australien kaum jemand um die Kultur der Aranda schert. Für ihre Traditionen interessieren sich fast nur noch Touristen. Die wollen alte Tänze sehen, haben aber keine Geduld. Sie wollen vor allem Fotos machen. Ansonsten kommen Leute aus der weiten Welt hergejettet, denen es nicht um die Menschen geht, sondern um Aboriginal Art . Dafür werden auf dem internationalen Kunstmarkt hohe Preise bezahlt.
    Jaco beschließt, Ethnologie zu studieren. Er geht nach Melbourne, wo es eine Universität mit internationalem Ruf gibt, und erlebt die englischen Initiationsriten der Studentenclubs für die Freshmen . Im Vergleich zu dem, was er über die Initiation bei den Aranda weiß, erscheint das eher spaßig. Auch die australische Ethnologie ist von der englischen Vergangenheit des Landes geprägt. Als fleißiger Student liest Jaco erst einmal die dicken Ethnografien der Klassiker: Bronislaw Malinowski, Alfred Reginald Radcliffe-Brown, Edward Evan Evans-Pritchard … Im Studium merkt er aber bald, wie sich die Ethnologie verändert hat. Seine Dozenten stammen aus Indonesien und Singapur. Die heutigen Ethnografen in Australien machen ihre Feldforschung weniger bei seinen Aranda oder anderen Aborigines, sondern bei indonesischen Flüchtlingen in Darwin an der Nordküste oder bei Griechen, die sich seit Jahrzehnten zu Tausenden in Perth angesiedelt haben. Kollegen aus Hongkong leben gerade zu Forschungszwecken bei Vietnamesen in Melbourne, nicht weit von Jacos Uni.
    Mancher Ethnologe fährt heute mit der Metro ins Feld. Viele forschen im eigenen Land, ja sogar in der eigenen Kultur. Wer weiß, vielleicht macht Jaco, um in den Stamm der Ethnologen aufgenommen zu werden, einmal eine Feldforschung in dem Lager, in dem er geboren wurde. Er könnte die heutige Dynamik und die Probleme des Lebens untersuchen, die man in den alten Texten nicht findet. Er könnte es aber auch wie die Klassiker machen: weit weg und möglichst exotisch, zum Beispiel auf der anderen Seite des Globus – nach Deutschland.
    Eine Vorreiterin der Ethnologie des umgedrehten Spießes ist meine Studienkollegin Diana Bonnelame. Sie wird 1942 als Kreolin auf Mahé, der Hauptinsel der Seychellen im Indischen Ozean, geboren, lernt bei katholischen Nonnen Französisch und später auf einer britischen Schule im kenianischen Mombasa Englisch. Als junge Frau kommt sie Mitte der 1960er Jahre nach Deutschland und arbeitet als polyglotte Übersetzerin, die fünf Sprachen beherrscht, in der Industrie. Der konstante Leistungsdruck macht ihr zu schaffen, sie steigt aus, beginnt 1978 das Studium der Ethnologie. 1982 beschließt sie, eine Feldforschung über Konfirmationsriten zu machen. Als Schwarze unter Weißen. Im Ruhrgebiet.
    Ethnologen betonen immer, dass Feldforschung kein Zuckerschlecken ist. Was man seltener hört, ist, dass sie auch sehr langweilig sein kann. Für die kontaktfreudige Frau von den Seychellen sind die nicht enden wollenden, sehr protestantischen Vorbereitungskurse eine harte Strecke. Artige Jugendliche sitzen auf Schwedenstühlen im Kreis, am Kopf der Jungpastor in Jeans und Hanf-T-Shirt, an der Wand Plakate zur Solidarität mit Nicaragua. Der progressive Pastor, in Dianas Analyse der »Initiator« oder »Zauberer«, sagt Sätze wie: »Wir sind jetzt drei Jahre in der Dienstgruppenarbeit zusammen, fünf Jahre im

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