Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
nämlich auch in der Stadt sein. Wir müssen also näher an den Alltagsgebrauch hinter den Vokabellisten, an das Denken hinter dem Sprechen kommen.
Schon der Philosoph und Supergelehrte Leibniz hatte im 17. Jahrhundert die Idee »eines Alphabets der menschlichen Gedanken« entwickelt, einer Universalsprache, die auf grundlegenden Ähnlichkeiten im Denken aller Menschen aufbaut. Die polnische Linguistin Anna Wierzbicka und ihre Mitarbeiter an der Australian National University suchen seit 1960 nach den Grundausdrücken der Bedeutung in den Sprachen der Welt. Sie durchforsten dafür gezielt Sprachen, die nicht miteinander verwandt sind, darunter auch etliche nichtwestliche. Außerdem betreiben sie spezielle Forschungen zu Sprachen und Sprechern. Sie nehmen verschiedene thematische Bereiche unter die Lupe, wie Werte, Emotionen, Gegenstände, Religion, schauen sich spezifische »kulturelle Schlüsselwörter« und sogenannte Sprechakte an, bei denen man durch Sprache sozial handelt. Das Team hat auf diese Weise bislang gut 60 universelle Grundbegriffe gefunden. Wie sieht dieses minimale Wörterbuch der Menschheit aus?
ich, du, jemand, etwas, Menschen, Körper;
dies, dasselbe, anderes;
eins, zwei, einige, viele/viel, alle;
gut, schlecht, groß, klein;
denken, wissen, wollen, fühlen, sehen, hören;
sagen, Wort, wahr;
tun, passieren, bewegen;
da ist, haben;
leben, sterben;
nicht, vielleicht, können, weil, falls;
wann, jetzt, nach, bevor, eine lange Zeit, eine kurze Zeit, für einige Zeit, Moment;
wo, hier, über, unter, weit, nahe, seitlich, innen;
sehr, mehr;
eine Art von, ein Teil von;
wie.
Diese »semantischen Primitive«, wie Wierzbicka sie nennt, gruppieren sich um 15 Themen-Cluster und sind in Form spezifischer Wörter oder Wortelemente in jeder Sprache zu finden. Auch bestimmte Kombinationen dieser Wörter lassen sich in allen Sprachen nachweisen. Die abstrakten Begriffe sind fast alle noch einfacher als die eben genannten Vokabeln aus dem Basiswortschatz, die aus der Erfahrung der Kulturen mit ihrer Umwelt stammen. Wierzbicka und ihre Kollegen haben damit nicht etwa durch Spekulation, sondern durch die Beschreibung von Sprachen klare Hinweise auf eine kognitive Metasprache der Menschheit gefunden, eine Lingua mentalis .
Auf den ersten Blick mag die Liste banal erscheinen. Aber das ist sie ganz und gar nicht. Zunächst fällt auf, wie wenige Hauptwörter vorkommen. Dann sind offenbar manche für uns grundlegende Wörter nicht universal. Ich finde es vor allem überraschend, dass »ja« und »nein« nicht in der Liste auftauchen. Das erinnert mich daran, dass es im Indonesischen das Wort »nein« zwar gibt, Verneinung aber in der Regel anders umschrieben wird. Statt zu sagen »Das weiß ich nicht«, sagen die Indonesier »Das weiß ich weniger«. Wollen Indonesier deutlich machen, dass sie nicht zu einer Einladung kommen können, sagen sie nicht »Ich komme nicht«. Das wäre zu brüsk. Sie sagen »Ich komme später«. Der Nachweis dieser universellen Bedeutungswörter ist also alles andere als trivial. Kulturvergleichende Studien zeigen, dass viele vermeintlich unverzichtbare Wörter – beispielsweise des Englischen, wie go, water, eat, sit, angry, hot, tree und sun – in etlichen anderen Sprachen keine Entsprechungen haben.
Wierzbicka und ihre Mitarbeiter gehen davon aus, dass sich mit ihren Grundbegriffen sämtliche universalen Ideen der Menschheit äußern und vermitteln lassen. Wierzbicka und ihr Team sehen den Nutzen ihres Miniwörterbuchs vor allem darin, überhaupt eine Grundlage zu haben, mit der man kulturvergleichend forschen kann, ohne den eigenen Sprachvorurteilen zu erliegen. Eine solche auf gemeinsamen mentalen Verknüpfungen aufgebaute Sprache wäre ein wirklicher Durchbruch im babylonischen Durcheinander und zweifellos weit leistungsstärker als die gut gemeinte Plansprache Esperanto. Esperanto war Ende des 19. Jahrhunderts ein Meilenstein, weil es die Idee einer neutralen Universalsprache stark machte. Nicht umsonst ist das Wort auch eine Metapher für Vermischtes, Internationales oder Vermittelndes in anderen Lebensbereichen. Als Sprache kombiniert Esperanto aber fast nur Wörter aus westlichen Sprachen, vor allem aus romanischen. Gemeinsame Denkinhalte werden kaum berücksichtigt, vor allem nicht universelle Strukturen. Kein Wunder, dass die Kunstsprache nicht Fuß fassen konnte.
Um von Wierzbickas Liste zu einer globalen Basissprache zu gelangen, müssten die »semantischen
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