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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
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Primitive« mit einer universalen Grammatik verknüpft werden. Und das ist noch Zukunftsmusik – aber eine wichtige Vision, denn eine solche Megasprache könnte Verständigung über alle kulturellen Grenzen hinweg möglich machen, weil sie auf universellen Denkstrukturen beruht.
    Der Big Bang des Sprachlernens
    Noam Chomsky, der Großmeister der theoretischen Linguistik, sieht hinter der immensen Vielfalt der Sprachen und ihren einzelnen Grammatiken ein Grundmuster, die »Tiefengrammatik«. Chomsky, der sich mit Basisstrukturen befasst, ist viel universalistischer als Wierzbicka, die von Einzelsprachen ausgeht. Ist Whorf der extreme Relativist, nimmt Chomsky die Position am anderen Ende der Skala ein, er ist extremer Universalist. Für ihn und seinen Popularisierer außerhalb des Elfenbeinturms, Steven Pinker, ist die Tiefengrammatik angeboren. Kein Wunder, dass manche seiner Annahmen heftig umstritten sind, aber es gibt harte Fakten, die auf seiner Seite stehen.
    Jedes gesunde Kind auf der Welt kann jede Sprache erlernen, sein Gehirn behandelt die als erste angebotene Sprache als Muttersprache. Zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr sind Kinder regelrecht sprachsüchtig, ihre Sprachfähigkeit explodiert. Es gibt den Big Bang der Sprachentwicklung. In jeder bekannten Gesellschaft gehen die Kinder mit Vollgas vom Einwortstammeln zu grammatisch korrekten Sätzen über. Dabei scheint eine deutlich gerichtete Lernbereitschaft zu bestehen. Kinder besitzen offenbar ein apriorisches Wissen über wahrscheinliche Gesprächsinhalte.
    Jedes organisch normale Kind, das in frühem Alter in irgendeine Gesellschaft gebracht und dort aufgezogen wird, hat die Lernfähigkeit, die dortige Umgangssprache zu erlernen. Das spricht dafür, dass wir alle mit einem kulturübergreifenden Wissen über sprachliche Grundstrukturen zur Welt kommen. Selbst Kinder von Eltern mit Sprachstörungen sprechen schnell grammatisch richtige Sätze. Im Widerspruch zu frühen Behauptungen Chomskys stehen jedoch Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Kinder im Alltag eine ungeheure Menge von Sprachbeispielen von ihren Eltern oder Geschwistern mitbekommen. Sie hören also viel mehr halbwegs korrekt formulierte Vorbildsätze, als Chomsky dachte. Und so hat der Hardliner selbst seine Ansichten über die angeborene Grammatik in den letzten Jahren merklich relativiert.
    Die Forschung ist also noch in Bewegung. Fest steht: Das Zeitfenster fürs natürliche Sprachlernen ist sehr kurz. Wenn wir älter sind, müssen wir jede neue Sprache mit viel Mühe lernen. Ich erinnere mich noch gut an meine jahrelangen Qualen mit dem Latein. Wir alle hätten die Klicklautsprache der !Kung in Südafrika lernen können. Falls Sie wie ich nicht bei den !Kung aufgewachsen sind, werden Sie diese Sprache allerdings nicht sprechen und auch nie perfekt lernen. Ein Kind, das eine zweite Sprache sehr früh nach der normalen Phase des Lernens der Muttersprache erlernt, kann diese noch fast perfekt beherrschen. Aber eben nur fast perfekt. Von echten Muttersprachlern wird auch ein solcher Sprecher sein Leben lang erkannt werden, und das kann mitunter fatale Konsequenzen haben. In ethnisch aufgeheizten Kriegen, wie in Ex-Jugoslawien, kommt es immer wieder vor, dass Menschen für die Exekution ausgelesen werden, indem man sie zwingt, bestimmte Worte auszusprechen…
    Mit Metaphern leben
    In den Sprachen aller Kulturen verwendet man Sprachbilder. Schon als Kinder hören wir vom Löwen als dem »König der Tiere«. Wir alle leben mit Metaphern. Sprachbilder sind ein Kernelement des menschlichen Denkens. Oft werden Eigenschaften des Raums oder des Körperlichen genutzt, um treffende Ausdrücke zu bilden. Das sehen wir bei Aussagen, die auf die aufrechte Haltung des Menschen anspielen und in denen »oben« gleich »mehr« ist: »Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt.« Verbreitet ist die Übertragung physischer Eigenschaften auf psychische. Ich habe hier von »erhitzten« Debatten berichtet. Bei der Feldforschung in Indonesien hörte ich immer wieder Erzählungen über die »heißen Makassar«. Die Hauptgruppe in Ujung Pandang gilt als wenig kultiviert, unkontrolliert, leicht aufbrausend und damit gefährlich. Man sagt: »Das Blut der Makassar steigt schnell hoch.« Menschen machen immer wieder gleiche Erfahrungen im Umgang mit Objekten und Ereignissen. Daraus entstehen Sprachbilder wie »untergehen« oder »begreifen«.
    Kulturübergreifende körperliche und emotionale Erfahrungen

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