Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
vermutlich schlicht der Tatsache geschuldet, dass es das Leben vereinfacht. Die Kontraste zwischen gut und schlecht, tief und flach sowie breit und eng werden überall grundsätzlich in dieser einfachen Form ausgedrückt. Logisch wäre es ja auch möglich, dass man den gleichen Sachverhalt mit sogenannten »markierten« Formen wie »nicht gut« oder »untief« zum Ausdruck bringt. Das gibt es zwar ebenfalls überall, bleibt aber in allen Sprachen die Ausnahme. In allen Sprachen stellen die Sprecher ständig Bezüge auf Bewegung, Ort, Geschwindigkeit und andere Grunddimensionen her. In allen (daraufhin untersuchten) Sprachen der Welt beziehen sich zwei Drittel bis drei Viertel aller Wörter, die Sinneseindrücke beschreiben, auf Hören und Sehen, was die audiovisuelle Tendenz des Menschen widerspiegelt. Das verbleibende Drittel bis Viertel bleibt für Wörter, die sich auf die anderen Sinne beziehen, auf Geruch, Geschmack, Tasten, das Temperaturgespür und das Empfinden der Luftfeuchtigkeit.
Sämtliche Sprachen bilden ihre Sätze durch eine dominierende lexikalische Einheit am Kopf, beispielsweise ein Verb oder eine Präposition und eine Ergänzung, zum Beispiel ein Nomen oder Nominalausdruck – und schreiben eine verbindliche Reihenfolge beider vor. Bei immerhin 128 Kombinationsmöglichkeiten der wichtigsten Kopfeinheiten werden in 95 Prozent aller Sprachen nur zwei angewendet. Das sind die Reihung Verb vor Objekt (wie im Englischen) und Objekt vor Verb (wie im Japanischen). So lässt sich mit etwa einem Dutzend grundlegender Merkmale ein Großteil der Unterschiede der Grammatiken dieser Welt erklären. Über diese »Atome der Sprache« wird unter Linguisten allerdings erbittert gestritten. Die Grammatik ist in allen Sprachen in zumindest irgendeiner Hinsicht redundant. So zeigen im Englischen Subjekt und Verb die Anzahl an und im Spanischen Nomen und Adjektiv das Geschlecht.
Bei dieser Aufzählung darf nicht vergessen werden, dass viele der postulierten Sprachuniversalien unter Linguisten, die sich mit einzelnen Sprachen befassen, durchaus umstritten sind. Die strittigen Punkte ergeben sich manchmal einfach daraus, dass die meisten Sprachen keine Schrift haben, viele schlecht dokumentiert sind und Hunderte schon fast ausgestorben.
Sprache tönt das Denken, mehr nicht
Der Sprachrelativismus ist nur interessant, wenn er radikal ist. Und der radikale Relativismus ist empirisch falsch. Extremer Sprachrelativismus ist politisch gefährlich. Wenn die Menschen in ihren Sprachen gefangen wären, könnte es keine Verständigung zwischen Kulturen geben. Wenn wir uns sowieso nicht verstehen können, brauchen wir es auch gar nicht erst zu versuchen. Jede Kultur könnte für sich alleine weitermachen – oder um sich schlagen und die anderen kleinkriegen! Mit der These, dass Menschen ganz anders denken, weil sie ganz anders sprechen, landet man ungewollt, aber schnell beim Sprachrassismus und kündigt die Chance interkulturellen Austauschs und gegenseitigen Lernens auf.
Nun geht es in der empirischen Wissenschaft nicht um das Sollen, sondern um das Sein. Und auch was nicht sein soll, könnte ja dennoch bittere Realität sein. Die Gemeinsamkeiten der menschlichen Sprachen haben uns jedoch gezeigt, dass radikaler Sprachrelativismus nicht nur politisch brisant ist, sondern auch wissenschaftlich falsch.
Eine Sprache ist alles andere als ein Korsett des Denkens. Jede Sprache lässt Freiheiten, jede enthält vage Äußerungen. Über die Unbestimmtheit etwa der Bedeutung von Wörtern klagen Menschen aller Kulturen. Die Unbestimmtheiten bieten aber auch Möglichkeiten. Und es gibt eine innere Distanz zu dem, was ausgesprochen wird. Jeder von uns kennt das Gefühl, einen Gedanken nicht in Worte fassen zu können. Weltweit ist man sich bewusst, dass Sprache Manipulation erlaubt. Gerüchte und Klatsch sind so universal verbreitet wie das Lügen und die Achtsamkeit gegenüber gezielten Unwahrheiten. Wir können also etwas anderes denken, als wir sagen. Wenn Sprachphilosophen behaupten, ein innerliches Sprechen sei auch von der erlernten Sprache bestimmt, haben sie recht. Sie haben aber in dem Moment unrecht, wenn sie das »auch« weglassen. Sprachen beeinflussen das Denken vielleicht, aber sie bestimmen es nicht. Der Linguist Jürgen Trabant sagt es noch besser: Sprachen »tönen« unser Denken.
Kulturen sind nicht in ihre Sprache eingeschlossen. Italiener können selbstverständlich eine Leiter von einer Treppe unterscheiden, auch
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