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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Antweiler
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wenn sie für beides nur das Wort scala haben. Wir Deutschen kennen die Unterscheidung zwischen Oheim und Onkel nicht mehr. Unsere Familienfeiern enden dennoch nicht im Desaster, denn man kann die Brüder von Mutter und Vater durch Zusatzinformationen identifizieren. Wir können das Haar auf dem Kopf durchaus vom Körperhaar unterscheiden, auch wenn wir nicht wie die Franzosen zwischen cheveux und poil trennen. Sprachen sind keine Gefängnisse. Sie schließen das Denken der Menschen nicht derart ein, dass diese vieles gar nicht denken könnten. Das gilt für die Wörter genauso wie für die Grammatik. Die Sprecher können mehr denken und sagen, als ihnen die Struktur ihrer Muttersprache vorgibt. Der Altmeister der Sprachwissenschaft, der Russe Roman Jakobson, hat es auf den Punkt gebracht: Sprachen unterscheiden sich darin, was sie sagen müssen, nicht darin, was sie sagen können.
    Die Liste der universalen Bedeutungswörter von Anna Wierzbicka ist ein schönes Beispiel dafür, dass universale Postulate kulturelle Vielfalt nicht ausblenden müssen. Erstaunlich ist ja, dass sich in jahrzehntelanger Forschung nur gut 60 wirklich universale Bedeutungswörter finden ließen. Das heißt schließlich auch, dass der ganz überwiegende Teil des Vokabulars und der Syntax aller Sprachen gerade nicht universal, sondern lokalspezifisch ist. Der Nachweis semantischer Universalien untermauert die Aussage, dass alle Sprachen beides haben, universelle, sprachunabhängige Konzepte und dazu eine je kulturspezifische »Ethno-Syntax«. Eine Feststellung, die ganz ähnlich schon Wilhelm von Humboldt Anfang des 19. Jahrhunderts getroffen hat.
    Kritiker der sprachlichen Universalienforschung bemängeln, viele Aussagen über »alle« Sprachen seien zirkulär, sie resultierten schlicht und einfach aus der Definition von Sprache. Das wären triviale Feststellungen wie: »Alle Sprachen bestehen aus Einheiten mit Symbolcharakter« oder »Alle Sprachen bestehen mindestens aus Verben und Substantiven«. Wir finden aber empirisch nachweisbare Universalien sowohl auf der Ebene der einzelnen Sprachen und ihrer Strukturen als auch auf dem Level der menschlichen Fähigkeit zu sprechen. Wir können mit Fug und Recht beides sagen: »Alle Menschen können angeborenermaßen sprechen« und »Jede Kultur hat eine Sprache«. Das sind zwei verschiedene Aussagen, und beide sind nicht banal. Wierzbicka und ihre Kollegen haben ihre Ergebnisse durch den Vergleich verschiedener Gesellschaften gefunden, und deshalb ist auch der Satz richtig: »Die Sprachen aller Kulturen weisen grundlegende Gemeinsamkeiten auf.« Ein erstaunliches Ergebnis angesichts der unglaublichen babylonischen Vielfalt. Ob Mithridates das geahnt hat?

Romeo in der Südsee Romanzen weltweit
    Romeo würde den Ausnahmezustand, in den allein der Gedanke an Julia ihn versetzt, 100-prozentig in der Liste von Professor Fisher und Professor Jankowiak wiederfinden. Die beiden US-amerikanischen Anthropologen haben in einer jahrzehntelangen Forschung versucht, der romantischen Liebe auf die Spur zu kommen, und am Ende ein ganzes Bündel von Merkmalen zusammengestellt: Die geliebte Person ist für mich einzigartig und nicht ersetzbar. Es ist mir egal, ob sie über oder unter mir steht – oder einer verfeindeten Gruppe angehört. Ich sehe nur die guten Aspekte des geliebten Menschen. Wenn ich an ihn denke, fühle ich Energie, das Herz rast, dann bin ich wieder völlig erschöpft. Mir ist die geliebte Person manchmal am nächsten, wenn sie gerade nicht da ist. Ich möchte sie besitzen und von ihr abhängig sein. Ich ordne meine Prioritäten nach ihr. Ich will mit ihr schlafen, vor allem mit ihr eins werden, mich um sie kümmern. Diese Gefühle lassen sich nicht kontrollieren, die Liebe kommt ungerufen, und sie hat mich im Griff. Ich will, dass es immer so weiterläuft. Julia bringt es auf den Punkt: »So grenzenlos ist meine Huld, die Liebe so tief ja wie das Meer. Je mehr ich gebe, je mehr auch hab ich: beides ist unendlich.«
    William Jankowiak ist einer der Ersten, der der romantischen Liebe mit einem breiten Kulturvergleich zu Leibe rückt. Er will schon in den späten 1980ern nicht mehr hinnehmen, dass sich Ethnologen zwar sehr für exotischen Sex, aber wenig für die Liebe interessieren und einfach behaupten, sie sei außerhalb des Westens irrelevant. Jankowiak nennt sich selbst einen »gnadenlosen Feldethnologen«. Bei eigenen Feldstudien in China, in der Mongolei und bei den polygamen Mormonen im

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