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Heimat

Heimat

Titel: Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Schmitt-Roschmann
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billiger kleiner Pool für denn Jüngsten, Sommerabende auf der Terrasse. »Das ist ein Traum«, sagt Stefan Schmidt. Er sagt das insgesamt drei Mal.

    Vor eineinhalb Jahren sind die Schmidts eingezogen. Aber über dem Esstisch und über der neuen Couchgarnitur, die sich in dem kleinen Wohnzimmer vor der offenen Küche drängeln, hängen immer noch die nackten Glühbirnen. »Wir haben ein bisschen aufgehört, hier was zu machen, weil wir nicht wissen, wie es weiter geht«, wirbt Schmidt um Verständnis. »Man muss jetzt das Geld zusammenhalten.« Denn kein Mensch weiß, wie es in drei Monaten aussieht, oder in drei Wochen, oder in drei Tagen.

    Stefan Schmidt ist ein gemütlicher Typ mit rauem Charme. Ein grauer Dreitagebart säumt das runde Gesicht unter der Glatze, ein kleiner Bauch wölbt sich unter dem schwarzen T-Shirt. Er ist keiner, der einem sofort sein Herz ausschüttet. Diesmal aber redet der 49-Jährige wie ein Wasserfall, wie er selbst sagt. Er redet sich den Frust von der Seele. Seine Frau Susanne schweigt die meiste Zeit dazu, ernst und blass. Wenn ihr kleiner Sohn mit dem Schnuller antappelt und sich über seine große Schwester beschwert, ist ihr das als Ablenkung ganz recht. Sie nimmt ihn fest in den Arm.

    Stefan Schmidt hat vor 30 Jahren als Aushilfe in einem Hertie-Kaufhaus angefangen, das später von Karstadt übernommen wurde. Er stieg auf bis zum stellvertretenden Abteilungsleiter. Susanne Schmidt
begann vor 24 Jahren in einer anderen Filiale, Abteilung Hobby und Heimwerker. »Die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, das ist so etwas wie eine Familie, einfach, weil man schon so lange da ist«, sagt die 43-Jährige. Und er: »Meine Filiale, das ist für mich schon ein Stückchen Heimat.«

    Eine Stelle für die Ewigkeit, ein Job bis zur Rente, noch vor ein paar Monaten dachten sie das. Vor drei Jahren jedenfalls hatten sie daran nicht den leisesten Zweifel, als sich ihr jüngster Sohn ankündigte und mit ihm ein mittelgroßes Platzproblem in ihrer Dachgeschosswohnung. »Wir mussten etwas tun«, sagt Stefan Schmidt. Brauchbare Mietwohnungen gab es nicht. Dafür waren die Zinsen günstig, der Bauplatz preiswert. Für das Eigenkapital lösten sie ihre private Altersvorsorge auf, und mit etwas gutem Willen der Bank ging es eben doch mit der Finanzierung. »Wir haben alles hier reingesteckt, weil es von Dauer sein sollte«, sagt Stefan Schmidt. »Und es geht auch, wenn die Situation so bleibt. Die ist eigentlich solide gewesen.«

    Solide, ja, so sah es aus. Ein deutscher Traditionskonzern mit Tariflohn, viel versprechende Manager mit hochtrabenden Plänen für das Premiumsegment. »Ich habe auch zu denen gehört, die an die geglaubt haben«, bekennt Stefan Schmidt. »Heute sage ich, wie konntest du nur.« Erst im Nachhinein hat er erfahren, dass der smarte Chef mit dem Privatjet auf Firmenkosten reiste, wie viel Geld in die falschen Strategien versenkt wurde und in die falschen Standorte. In immer kürzeren Abständen folgten die Krisenmanager. Sie priesen ihre neuen Konzepte, sie recycelten ihre Power-Point-Präsentationen für die Banken. Sie traten auf der Stelle, während eine Billigkonkurrenz mit Dumpinglöhnen und Drei-Euro-T-Shirts den Markt von unten annagte und aushöhlte, bis das Warenhaus von einst nur als Gerippe übrig blieb. Eine »Verrohung der Branche« sieht Schmidt, eine Drift ins Billigbillig, wo letztlich kein Mensch mehr überleben kann. Es klingt bitter. Und ratlos.

    Der Konzern war angezählt, das weiß der Angestellte. Der K.O. kam mit der Finanzmarktkrise, als die Banken plötzlich die Neuauflage von Krediten verweigerten. »Eine Woche nach der Lehmann-Pleite ist Karstadt zusammengebrochen«, erinnert sich Schmidt. Die Eigentümer
stellten sich stur. Der Staat gab keine Bürgschaft. Seitdem sind er und seine Frau eine Position in der Personaldatei des Insolvenzverwalters. Ein Kostenposten, der hin und her gewälzt wird.

    Es gibt nichts, was sie tun könnten, davon sind die Schmidts überzeugt. Bewerben? Wie findet man mitten in der Krise als 43-Jährige eine Teilzeitstelle im Einzelhandel, bei der man pünktlich zum Kita-Schluss gehen kann? Stefan Schmidt ist stellvertretender Abteilungsleiter und Betriebsrat. Wer würde ihn wohl einstellen, wenn er jetzt von sich aus kündigte? »Woanders müsste ich von unten anfangen, und das würde finanziell die totale Katastrophe bedeuten - wenn ich denn irgendwo was finde.«

    So bleibt nur die entnervende Warterei, bis

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