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Heimat

Heimat

Titel: Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Schmitt-Roschmann
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wirklich nicht gut angesehen, zumindest auf Stammtischniveau«, fasst Marina Schulz zusammen - und das, obwohl sie sich gerne integrieren wollen, sie sind Mitglied im Nachbarschaftsverein und in Sportclubs und Marina singt in einem Chor. Die etwa 200.000 Deutschen unter 7,7 Millionen Schweizern sind inzwischen ein politisches Reizthema, Talkrunden und Zeitungskolumnisten befassen sich mit der Integration der nördlichen Nachbarn, von denen viele als gut ausgebildete Fachkräfte zu den Eidgenossen kamen, dort aber bisweilen als Streber und Konkurrenz empfunden werden. Ende 2009 inszenierte die rechtspopulistische SVP, frisch gestärkt durch ihren Referendumserfolg gegen den Bau weiterer Minarette, eine Anti-Deutsch-Kampagne nach dem Motto »Ausländische Ellbögler drängen an unsere Arbeitsplätze«. Peter und Marina Schulz reagierten verstört und empört auf die offen fremdenfeindlichen Verbalattacken. Aber darin kristallisierten sich nur Erfahrungen, die sie beide seit Jahren machen.

    Marina hat Diskussionen mit ihren Kolleginnen erlebt, in denen die Schweizerinnen ganz offen ihre Ablehnung gegen Deutsche äußerten,
ganz so als wäre sie nicht dabei. Im Zug oder auf der Straße bekam sie zu hören »blöder Sauschwab« oder »blöde Deutsche«, und das nicht nur ein Mal. »Da hatte ich keine Lust mehr, hier zu leben«, erinnert sich Marina an die Kränkung. Peter sagt es so: »Ich bin Gastarbeiter in der Schweiz und ich fühle mich auch so.«

    In den drei Leitungsebenen seines Instituts finden sich nur in der untersten Deutsche, obwohl im Unterbau viele, viele Bundesbürger Dienst tun. Statistisch gesehen müsste es eigentlich auch weiter oben deutsche Führungskräfte geben, meint Peter. »Aber in diesen Positionen bleiben Schweizer unter sich, das ist eine Klassengesellschaft.« Was in Deutschland ein Freund sei, das sei in der Schweiz ein »guter Kollege«. »Aber als Deutscher wirst du nie ein ‚guter Kollege’ sein. Da bist du ein ‚Arbeitskollege’. Die Differenzierung ist fein, und die Deutschen checken das gar nicht. Dass ein Schweizer Freunde hat, habe ich in den acht Jahren vielleicht zwei Mal gehört.«

    Das Befremden zeigt sich auch im Alltag. Zum Beispiel die Geschichte mit den Mülltüten. Der Müll kommt in die Tüte, ein Märkchen zeigt, dass die Müllgebühr bezahlt ist. So weit, so gut. Aber Mülltüte ist nicht gleich Mülltüte, und richtig ist nur der Standardmüllsack des eigenen Kantons. »Die Müllabfuhr lässt ihn sonst stehen und macht einen Zettel drauf: ‚Bitte den richtigen Standardsack verwenden.’« Der Zugewanderte ist darüber fassungslos. Ähnlich war es mit dem TÜV-Termin. Nicht nur, dass das Amt weiß, wann die nächste Überprüfung des Autos fällig ist, es lädt dazu vor. Und zwar nicht etwa für Dienstags oder Donnerstags zwischen acht und zwölf, sondern für den 18. Oktober um 17.23 Uhr - nicht 22 und nicht 24 Minuten nach fünf. »Erwartet wird dann, dass man um 17.15 Uhr da ist.« Peter seufzt. »Wenn irgendwer dachte, die Deutschen sind bürokratisch, dann nur, weil er die Schweizer nicht kannte.«

    So sind es gerade die deutschen Tugenden, die Peter an den Schweizern aufregen. »Deutsche und Schweizer sind Spiegelbilder voneinander: Der jeweils andere ist das mehr, was man selber glaubt zu sein. Die Schweizer sind die besseren Deutschen und umgekehrt.« Nur dass die Deutschen mit ihrem Deutschsein mehr hadern. Die gebrochene deutsche Geschichte, die innere Distanz zu den eigenen
Gegebenheiten, das Misstrauen gegenüber jenen unheimlichen Tugenden, die Rebellion der 68er - all das, ist Peter überzeugt, haben die Schweizer nicht im gleichen Maße durchlebt. »Die Identifikation mit dem Eigenen ist viel stärker als bei uns. Die Anerkennung von Alterität, die Möglichkeit, dass es andere Dinge gibt, dass es anders sein kann und auch anders gut sein kann, ist viel geringer.«

    Der hohe Ausländeranteil von rund 21 Prozent in der Schweiz führe zu Grenzziehung, nicht zu Durchmischung, so analysiert es der Wissenschaftler Peter Schulz. Der Zuwanderer Peter Schulz sieht es so: »Die sind megakonservativ. Die sind sehr auf ihre Heimat bezogen, auf den Dialekt, den sie sprechen, auf ihre Region.« Wer nicht dazu gehört, gehört nicht dazu. Basta. »Heimat ist für mich mittlerweile ein Bedrohungskonzept geworden, denn da, wo ich bin, bin ich durch Heimat ausgegrenzt.« Anderssein und Fremdheit, das sei im Ausland normal. Aber das Gefühl, nicht erwünscht zu

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