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Heimat

Heimat

Titel: Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Schmitt-Roschmann
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irgendwer ganz oben, irgendwer in einem Bankenhochhaus oder in einer Konzernzentrale mit dem Finger schnipst und sagt: Das war’s. Oder: Wir machen weiter. »Man ist letztlich Sklave in einem Unternehmen, man fühlt sich auch manchmal so, dass man verschoben wird«, so sieht es Stefan Schmidt. »Wenn ein Unternehmen verkauft wird, dann wird man einfach mitverkauft.«

    Deshalb ist offen, ob die nackte Glühbirne über dem Esstisch einen Lampenschirm bekommt, ob dieses Haus einmal Heimat wird oder unter dem Hammer landet. Die Rechnung ist einfach: Arbeitslosengeld, das sind für beide zusammen 1.000 Euro weniger im Monat. »Ich habe keine Ahnung, wo wir die einsparen könnten«, sagt Stefan Schmidt. Vielleicht könnte man mit dem Kreditberater reden, Zins und Tilgung strecken. »Ich weiß nicht, was man da macht, bisher konnten wir immer alles bezahlen.« Vielleicht findet sich ja ein Weg. Zur Miete wohnen wäre schließlich auch nicht billiger. Aber letztlich, da machen sich die Schmidts nichts vor, gehört ihr Traum der Bank. Noch eine Glasfassade, hinter der ein Fremder bald mit dem Finger schnipsen könnte: Das war’s.

    Verwurzelung, soziale Einbindung, Sicherheit, Gestaltung der eigenen Lebenswelt - wenn all dies Heimat ausmacht, wie die Psychologin Beate Mitzscherlich meint 56 , dann sind die Schmidts wohl auf dem Weg
ins Nirgendwo einer entfremdeten, entgrenzten, unübersichtlichen und feindseligen Welt. Der scheinbar feste Grund, auf dem sie seit Jahren mit ihrer Familie leben - das Packeis entpuppt sich nun als Eisscholle, die unter ihren Füßen zerrinnt, ohne dass sie auch nur das geringste dafür oder dagegen unternehmen könnten. Es ist das Schicksal Hunderttausender.

    Die Debatte über das Prekariat, die der damalige SPD-Chef Kurt Beck 2006 lostrat, das Schreckgespenst Hartz IV, die Nöte der »Generation Praktikum«, die sich in serieller Selbstausbeutung vergeblich für den Luxus eines unbefristeten Arbeitsvertrags warm läuft, all dies deutete schon lange vor der großen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise von 2008 auf massive Veränderungen der Arbeitswelt hin. »Die Angst vor dem Abstieg reicht bis weit in die Mitte«, schrieb »Die Zeit« schon 2005. 57 Und der Soziologe Heinz Bude bescheinigt den sich Ängstigenden, dass sie damit vollkommen richtig liegen. Die Botschaft seines Buchs »Die Ausgeschlossenen« fasste er 2008 als Appell an die deutsche Mittelschicht zusammen: »Seid nicht selbstgerecht! Denkt nicht, wenn ihr Glück gehabt, weil ihr in Verhältnissen lebt, wo die Chancen sich kumulieren: Es steht mir zu! Gewinnt ein Gefühl dafür, dass man aus jeder sozialen Gruppe abrutschen kann. Und vor allem: Seid vorsichtig mit dem Satz, dass irgendjemand an seiner Lage selbst schuld ist.« 58

    Nicht selbst schuld, sondern machtlos in einer fremd bestimmten und letztlich auch sehr fremden Welt - die globale Krise hat das Gefühl noch verstärkt. Die irrealen Luftbuchungen mit Finanzprodukten, die selbst ihre Erfinder nicht mehr überblicken, die virtuellen Zahlenreihen und Kurskurven, die auf mysteriöse Weise aus ihrer digitalen Scheinwelt überspringen in die Realität und dort ganz real Maschinen stillstehen lassen: Die Welt ist hinterrücks völlig undurchdringlich geworden. Natürlich ist das schon sehr lange so, doch lange schien es kein Problem. Man kann am Bankautomaten Geld ziehen, ohne genau zu wissen, wie die Scheine hineinkommen, man kann auch Auto fahren, ohne zu verstehen, wie der Motor funktioniert. Nur wenn das Ding plötzlich stehen bleibt, wenn das System zurückschlägt, wird die Hilflosigkeit greifbar.

    Die Risiken dieser vom Einzelnen losgelösten Welt scheinen individuell unbeherrschbar und unermesslich. Im Frühjahr 2009 bekannten
57 Prozent der Deutschen in einer GfK-Umfrage, sie hätten Angst um ihren Arbeitsplatz - obwohl die tatsächliche Arbeitslosenquote bei nur 8,2 Prozent lag. 28 Prozent der Befragten äußerten die Befürchtung, im Zuge der Krise abzurutschen und den eigenen sozialen Status zu verlieren - mehr als ein Viertel der Bevölkerung sieht sich im Treibsand der Veränderung. 59

    Ein Großteil derer, die auf Aufstieg, auf Stabilisierung ihrer Verhältnisse setzten, ließ diese Hoffnung fahren. So beschreiben die jungen Autoren Mathieu von Rohr und Sandra Schulz ihre eigene »Generation Krisenkind«: »Ihre Träume sind klein. Sie wollen einen Job. Sie wollen dazugehören. Sie wollen irgendwann mal eine Familie. Sie wollen sich was leisten können.«

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