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Heimat

Heimat

Titel: Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Schmitt-Roschmann
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sein, missbilligt zu werden - »das hatte ich noch nie«. Das könne aber auch eine ganz subjektive Einschätzung sein, schickt der Wissenschaftler hinterher.

    Klar ist jedenfalls, dass jede Reise nach Deutschland so etwas wie Urlaub ist von dieser Befremdung, das empfinden Peter und Marina Schulz ganz deutlich. »Wenn ich zurück über die Grenze fahre, aus dem Zug steige oder aus dem Flieger, dann denke ich, oh Mensch, die reden ja deutsch«, sagt der Hochschullehrer. »Das ist das Gefühl von Erleichterung, von Entlastung.« Und klar ist auch, dass beide übers Rückwandern reden, immer wieder und immer mal wieder auch ganz konkret. Nur, wohin eigentlich?

    Heimat - über das Konzept kann der Sozialwissenschaftler Peter Schulz in der Theorie viel erzählen. Aber wo das genau sein soll, Heimat? Peter und Marina sind da ziemlich ratlos. Beide stammen aus dem Rheinland, Marina mit der kleinen Einschränkung, dass sie dort erst als Kleinkind hingezogen ist und sich auch dort nie ganz integriert fühlte. Die Rheinländer, so spottet Peter, das sind die, die nur im äußersten Notfall zum Studieren wegziehen, und wenn, dann gründen sie dort sofort einen Verein der Exil-Rheinländer, um sich zu trösten. Das ist für Peter inzwischen eine sehr ferne Welt. Dorthin zurück will er nicht.

    Marina sagt, sie wisse einfach nicht mehr, wo Heimat sei. Seit den 70er- und 80er-Jahren sei ihr das ganze Konzept fremd, immer sofort befrachtet mit zu viel Geschichte. »Ich frage mich, ob ich überhaupt noch einmal ein Gefühl von Heimat entwickeln werde.« Peter versucht es hiermit: »Vielleicht ist es das Gefühl, richtig zu sein und nicht Fremdkörper.« Vielleicht eher kein Ort, ein postmodernes Konzept: ein heimeliges Gefühl durch eine bewusste, visionsgetriebene Lebensgestaltung. Vielleicht auch nur Illusion. Noch einmal kommt er auf seine Rolle als Gastarbeiter. »Ich verstehe die Türken, die sagen, ich bleibe jetzt so lange, bis ich das Geld für das Haus zusammen habe und dann gehe ich zurück nach Antalya, da hat es diesen schönen Blick aufs Meer. Die stellen in der dritten Generation fest, dass das ein Konstrukt ist, das sie brauchen, um seelisch zu überleben, aber dass sie das nie leben werden.«

    Konkret hängt die künftige Heimat für Peter und Marina vor allem an der Ökonomie. Die beiden stecken in ihrer ganz persönlichen Globalisierungs-Falle. »Ich kann mir nicht vorstellen, nach Deutschland zurückzugehen, ohne eine Arbeit zu haben«, sagt Marina. Zwei Akademiker Ende 40, immer flexibel, immer mobil, auf der Karriereleiter immer nach oben - wo finden die eigentlich in Deutschland einen Platz, wenn sie des Wanderns müde werden? Die Schweiz lockt Fachkräfte mit satten Gehältern. Eine gleichwertige Stelle aufzutun, auf dem engen deutschen Arbeitsmarkt, das dürfte schon für einen von beiden ein Kunststück werden, meint Peter. Schon nach dem Studium ging es Zickzack durch halb Deutschland, um als Sozialwissenschaftler überhaupt irgendwo unterzukommen. Und jetzt, wo man sich etwas erarbeitet hat, wo man nicht mehr jeden Pipi-Job für ein paar Euro machen möchte, wo man der sinnlosen Grabenkämpfe Honoris Causa überdrüssig ist - die Stellensuche wird zur Herkulesaufgabe, und das mal zwei.

    Damit allerdings sieht sich Peter Schulz bei weitem nicht allein, er glaubt, dass die gesamte Generation nach ihm noch viel stärker driftet - ohne Verlässlichkeit, ohne Sicherheit, ohne offensichtliche Regeln oder Aufgaben, räumlich ungebunden, in einem Strom von Gelegenheiten und Zufälligkeit, in einer Gesellschaft, in der die gesamte Mittelschicht mit all ihren Reihenendhäusern und Opel Zafiras vom Sozialamt genau eine Kündigung weit entfernt ist.

5. Fester Grund im globalen Chaos: Von der Sehnsucht nach Heimat in Zeiten der Krise
    Es ist ein Traum in hellgrau. Frischer Rauputz unter einem hohen Giebeldach, hellgrau hinunter bis zum Ansatz des Fundaments. Ein Scheibchen Haus auf einem verwinkelten Grundstückchen in der zweiten Reihe in einer Gegend voller Jägerzäune und Kleinwagen. Ein Schnäppchen, sonst wäre das finanziell gar nicht gegangen. Das Grundstück war ein Ladenhüter, weil alles rundum schon zugebaut war. Es passte nur noch das halbe Doppelhaus, 100 Quadratmeter Wohnfläche. Den Schmidts 55 war es egal. Die drei Kinder sollten jeder ein eigenes Zimmer bekommen, darauf kam es an, und ein Stück Garten. In diesem Sommer gab es die ersten selbst gezogenen Zucchini, Tomaten, Bohnen, Brokkoli. Ein

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