Heimaturlaub
am liebsten das Nordlicht von Hammerfest aus beschossen.
Von weitem tönte Flakfeuer herüber. Wüllner, der einen schnelleren Schritt eingeschlagen hatte, blickte mit Sorge zur Seite auf die zitternde Hilde. Er kannte die Bombennächte, und er wußte auch, daß sie hier auf freier Straße rettungslos verloren waren, wenn der Angriff auf ihrem Viertel lag. Es blieb nicht mehr viel Zeit …
In schnellem Lauf bogen sie in eine Straße ein, und Hilde hielt vor einem großen fünfstöckigen Haus inne, das im Jugendstil erbaut war und einen etwas überladenen Prunk zeigte.
»Ganz oben wohne ich, direkt unter dem Dach«, sagte Hilde, »in einem früheren Maleratelier. Wenn ich morgens an das große Fenster trete, das die ganze Breitseite des Zimmers ausmacht, kann ich weit über die Dächer Berlins sehen und freue mich immer, wenn die Sonne auf den Ziegeln spielt und wenn das stumpfe Grau ganz golden aufleuchtet, als läge über den Häusern eine Schicht feinen Goldstaubs. Dann fühle ich mich so glücklich in meiner Höhe und so frei, so unbeschwert luftig, als hätte ich Schwingen, die mich über das endlose Meer der Häuser tragen.«
Wüllner mußte unwillkürlich lächeln. Wie ein kleines, schwärmerisches Mädchen sprach sie, und doch war der Ton anders als das Geplapper der Backfische – es schwang eine rätselhafte Schwermut in der Stimme und eine tiefe Sehnsucht nach Erfüllung, trotz aller Romantik und Lebenslust.
Das ferne Flakfeuer kam nicht näher, sondern zog sich weiter nach Westen hin, und wie er Hilde Brandes die Hand reichen wollte, heulten erneut die Sirenen auf und gaben Entwarnung. Wieder war Hilde beim ersten Ton zusammengeschreckt. Dann aber mußte sie lächeln.
»Ich erschrecke immer, wenn die Sirene beginnt. Der Ton ist so schrecklich, so unbeschreiblich, daß ich jedesmal friere, wenn ich ihn höre. Entschuldigen Sie.«
Wüllner hielt ihre Hand fest.
»Was soll ich entschuldigen? Daß Sie Angst vor den Luftangriffen haben? Mein Gott, die habe ich auch, die haben wir alle. Es ist nur eine Schande, daß es mit Deutschland so weit kommen mußte … aber ich wollte ja keine Reden mehr halten! Bevor wir uns verabschieden, habe ich eine große Bitte an Sie. Und Sie dürfen sie mir nicht abschlagen, sonst bleibe ich hier die ganze Nacht stehen und warte, bis Sie am Morgen wieder herauskommen, gehe dann mit zur Universität, zum Mittagessen, zum Friseur, ins Kino, wo Sie nur sind … ich weiche keinen Schritt von Ihrer Seite, wenn Sie mir einen Korb geben!«
»Um Gottes willen!« Hilde spielte Entsetzen. »Und um welchen Preis kann ich mich von dieser Verfolgung loskaufen?«
»In dem Sie mir versprechen, morgen abend um zwanzig Uhr am Zoo zu sein zwecks gemeinsamer abendlicher Freizeitgestaltung mit einer – bitte ganz genau zuhören – mit einer Flasche Wein!«
»Das kann ich nicht annehmen.« Schüchtern wollte sie ihm ihre Hand entziehen.
Aber Heinz Wüllner ließ nicht locker.
»Denken Sie an mein Ultimatum!« warnte er und schnitt ein bitterböses Gesicht. »Wie ein Schatten werde ich Ihnen folgen! Wie ein Alpdruck, wie ein Menetekel!!«
Da mußte Hilde lachen. Und wenn ein Mädchen lacht, ist die letzte Schicht des Eises geschmolzen. Wüllner atmete tief auf und sagte frech:
»Also morgen abend, zwanzig Uhr. Basta!«
»Was heißt basta?« fragte Hilde.
Heinz setzte seine Stirn in schwere Denkerfalten. »Basta kommt aus dem Spanischen und heißt soviel wie Schluß! Erledigt! Der Fall ist klar! Basta setzt sich zusammen aus den beiden Silben ba und sta! Ba sagt man zu etwas Unangenehmem: Ba – ist das schmutzig – und sta bedeutet, daß etwas stat – stur ist, somit zusammengefaßt: basta gleich eine Verneinung des Unangenehmen. Personifiziert: zu allen Vorschlägen ein enthusiastisches Ja!«
Hilde Brandes lachte wieder laut auf.
»Ihre Erklärung ist typisch! Typisch Mann! Und wenn der Fall nun nicht klar ist?«
»Er ist klar!«
»Ach! Und warum?«
»Weil ich Sie … weil ich Sie gern habe!«
»Männer, die eine Frau gern haben, sind Egoisten!«
»Herrgott, soll ich sagen, daß ich Sie liebe?«
Hilde wurde auf einmal blutrot im Gesicht und blickte zu Boden.
»Sie haben sich einen Scherz erlaubt, Herr Wüllner. Sie und ich.«
»Ich scherze nie in Herzensangelegenheiten.«
»Wir kennen uns erst seit drei Stunden!«
»Ein Grund mehr, uns in Zukunft genauer kennenzulernen.«
»Und wenn ich nicht möchte?«
»Die Hauptsache ist, daß ich es möchte!« Diesem Lümmel war
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