Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
großen Sache. Gefahr ist für mich ein Ansporn, die Kräfte zu messen und stärker zu sein als sie selbst.«
    Wüllner drückte den glimmenden Rest seiner Zigarette im Aschenbecher aus und steckte den Rest in eine kleine Blechdose.
    »So weit sind wir Deutschen schon, daß wir die Stummel der Zigaretten sammeln, um sie in der Pfeife zu rauchen. Es fehlt nur noch, daß wir die Stummel aus allen Gossen und Schutthalden lesen. Wirklich, das hat mit Genügsamkeit und Besinnung auf das Wesentliche, auch mit Totalisierung nichts zu tun … das ist einfach und kraß das Ende, der bevorstehende Zusammenbruch, der sich an Unwichtigkeiten anzeigt und mit der größten Katastrophe aller Zeiten endet.«
    Hilde Brandes war bis ins Innerste erstaunt.
    Da saß nun ein netter junger Mann, der alles mitbrachte, um sich in ihn zu verlieben. Da hatte er sie in ein Café eingeladen. Aber anstatt Komplimente zu machen und von Liebe und Glück zu schwärmen, wälzte er politische Probleme, schüttete sein Herz vor ihr aus und riß vor ihr eine Kluft auf, die sie nie gesehen hatte. Sie war selbst im Reichsstudentenbund, in ›Glaube und Schönheit‹ und im BdM, sie glaubte an die Sendung des Führers und an das gute Gelingen des Krieges. Alle Zeitungen waren voll von der Zuversicht des Sieges. Alle Reden handelten vom Glauben an die Zukunft. Und nun kam da ein Mann, der ihr brutal und offen erklärte: Du hast geträumt. Wir, du und ich, sind nur geblendet worden. Es ist alles anders, es ist alles aus! Und anstatt von den schönen Dingen des Lebens zu sprechen, die man bei einer Tasse Kaffee so gerne aufrollt, malte er ein düsteres Bild und beschwor das Grauen der Zukunft.
    Hilde Brandes fuhr sich verwirrt durch die widerspenstigen Locken. Wie sollte man diesen Mann beurteilen? Hier schien die Psychologie zu versagen. Wußte er überhaupt, zu wem er sprach? Hilde hatte den Eindruck, als sähe er in ihr nicht die einzelne Frau, sondern ein ganzes Auditorium von Zuhörern, denen er seine Erkenntnis zuschrie. Konnte dieser Mann überhaupt fühlen, gab es für ihn außerhalb des Geistes auch die Zartheit einer Seele? Konnte in diesem nüchternen Denker der Zauber einer Liebe entstehen, einer Liebe, die nicht nach fünf Minuten umschlug in einen politischen Disput? Ja, war es überhaupt denkbar, daß dieser kalte Mann sie jemals zärtlich umarmen konnte und sich so verhielt wie normale verliebte Männer?
    Während sie noch in Gedanken versunken war und vor sich hinblickte, nahm Wüllner plötzlich ihre Hand und schaute sie mit seinen großen blauen Augen an:
    »Sie sind mir doch nicht böse, daß ich Sie mit dieser leidigen Politik quälte? Ich weiß, es ist für ein junges, frisches Mädchen nicht der interessanteste Gesprächsstoff, zumal Sie ein Recht haben, vorurteilslos durch die Welt zu gehen, eben weil Sie jung, hübsch und lebenslustig sind … aber es ist nun mal eine böse Leidenschaft von mir, in allen Dingen den Kern zu sehen.«
    »Solange das Ihre einzige Leidenschaft ist, brauche ich vor Ihnen keine Furcht zu haben«, entgegnete Hilde mit einem Lächeln und ließ die Hand in der seinen liegen. »Aber ich glaube, wir müssen jetzt doch gehen. Es wird schon dunkel draußen. Außerdem habe ich einen mordsmäßigen Hunger. Der Kuchen hat nicht lange vorgehalten.«
    Heinz lachte laut.
    »Das ist allerdings ein triftiger Grund, sofort aufzubrechen … Aber, halt – nur unter einer Bedingung.«
    »Und die wäre?«
    »Daß ich Sie nach Hause begleiten darf, wenigstens so weit, wie sie es für gut befinden.«
    »Einverstanden!«
    Hilde Brandes griff nach ihrem Mantel.
    »Ober! Zahlen!« rief Heinz dem in der Ecke stehenden Kellner zu und half ihr in den Mantel. Dann stieg er in seinen Ulster, wand den braunen Seidenschal keck um den Hals, stülpte sich die hellgelben Schweinslederhandschuhe über die Hände und schob wie selbstverständlich den Arm Hildes unter den seinen. Und während Hilde über diese charmante Frechheit und Freiheit noch lächelte und sich im hintersten Winkel ihres Herzens ein ganz klein wenig glücklich und so eigentümlich lustig fühlte, traten sie hinaus in die verschneite, kalte Nacht des Berliner Westens.
    Der Himmel war mit schweren Wolken bedeckt, und nur der weiße Schnee warf ein wenig Licht zurück in die sonst mondlose, stumme Nacht. Leise knirschte das Eis unter ihren Schuhen, und der Atem zog in kleinen weißen Wolken vor ihnen her. Vorbei an zerstörten Häusern und zerborstenen Mauern führte ihr

Weitere Kostenlose Bücher