Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
das war unbestreitbar. Auch das Essen war gut, wenngleich zeitbedingt mager. Der anschließend servierte Tee entpuppte sich als ein Streifzug durch die Kräuter des Grunewaldes. Und das Gebäck war mehr Wasser als Teig – aber es ließ sich wenigstens essen. Alles in allem: Man gab sich große Mühe, aber der Verfall dieses gepflegten Lokals, das zu den besten und kultiviertesten Berlins gehörte, war offensichtlich. Wo einst wirklich der Geist und die Kultur, die Diplomatie und die Wirtschaft der Welt speisten, da saßen jetzt degenerierte Gesichter aus Himmlers Umgebung.
    »Warum schüttelt Ihr das weise Haupt, Paris?« fragte Hilde; sie hatte bei Wüllner so etwas wie ein wehes Schütteln gespürt.
    »Mir war, als würde ich aus einem schlammigen Wasser gezogen und schüttelte die Algen ab«, sagte Wüllner und legte seine schmale Künstlerhand auf ihre zarten Finger. »Aber wollen wir auch diesen Abend mit leidiger Politik verbringen? Ich wüßte, was schöner ist.«
    »Und das wäre?«
    »Tanzen.«
    Hilde blickte ihn erstaunt an.
    »Tanzen? Jetzt? Wo seit zwei Jahren das Tanzverbot besteht?«
    Wüllner lächelte. »Glauben Sie doch ja nicht, daß sich Berlin durch eine bloße Verfügung von oben so leicht sein bestes Geschäft verderben läßt! Wenn auch nach außen hin nicht mehr getanzt wird und man züchtig des Morgens in die Fabrik wandert und am Abend noch züchtiger, weil man müde ist, ins Bett steigt, so wirbelt man doch die Beine in versteckten Hinterzimmern. Und mancher Tanzsalon wirkt auf Uneingeweihte nur deshalb wie eine stille Insel, weil er im Hinterzimmer schalldichte Türen hat anbringen lassen.«
    Hilde sah ihn entsetzt an. »Und wenn die Polizei das merkt? Wenn Razzien gemacht werden?«
    »Der Polizeioberst, die SS-Führer, die Funktionäre des Ministeriums sind Stammgäste in diesen Hinterzimmern. Und wo die Hunde bellen, da fällt kein Wolf ein! … Es ist Ihnen doch recht, wenn wir einen netten Tanzsalon aufsuchen?«
    »Nur, wenn es wirklich ungefährlich ist. Ich möchte in keinen Skandal verwickelt werden – schon wegen des Studiums nicht.«
    Sosehr sie dieses Abenteuer auch reizte, so war doch vieles zu bedenken: Die Familien, in denen sie Privatunterricht gab, waren durchweg gute, bürgerliche Haushaltungen, und man würde es ihr nie verzeihen, wenn sie durch eine Dummheit in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt würde. Und dann die Universität! Wie leicht drohte der sofortige Ausschluß. Eine einzige Nacht des Leichtsinns könnte ihr ganzes Leben verderben. Andererseits mußte dieser Heinz Wüllner wissen, was er tat, und er war sicherlich so sehr Ehrenmann, daß er ein ahnungsloses Mädchen nicht mutwillig in den Abgrund riß. Er mußte seiner Sache sicher sein; jedenfalls nickte er ihr ermutigend zu:
    »Nur keine Angst! Es ist ganz ungefährlich.«
    Er half ihr in den Mantel, bezahlte die Rechnung, zog seinen Ulster an, den der Ober gebracht hatte, nahm mit einer Selbstverständlichkeit Hildes Arm und trat hinaus in die kalte Winternacht.
    Durch die tief verschneiten Straßen wanderten sie zum ›Delphi-Tanzpalast‹. Hilde kannte dieses Etablissement von riesigen Ausmaßen bereits, aber sie war vor Wochen gelangweilt wieder nach Hause gegangen, weil man hier, wie überall, nur an Tischen saß, alkoholfreie Getränke schlürfte und im übrigen die Luft mit den undefinierbaren Kriegszigaretten in eine stinkende Qualmwolke verwandelte. Von ›Tanzpalast‹ konnte keine Rede sein; das war früher einmal. Soldaten trieben sich hier herum, kleine Dienstmädchen, Lehrlinge und ältere Junggesellen, die den verlorenen Frühling suchten. Hilde war enttäuscht, daß Wüllner sie ausgerechnet hierher führte.
    Er wechselte ein paar Worte mit dem Portier, der ihn offenbar kannte, drehte sich dann um und zog Hilde weg.
    »Hier ist heute kein Tanz, der Wein ist ausgegangen. Pilgern wir zu einer anderen Bar!«
    Er nahm Hilde die Blumen ab, die der Kellner bei Borchardt wieder sorgsam in Seidenpapier eingewickelt hatte, und legte leicht die Hand über Hildes Schulter.
    »Ist Ihnen kalt? Drücken Sie sich fest an mich, das schützt ein wenig vor dem feuchtkalten Wind. Haben Sie noch nie einen Mann geküßt?«
    Unvermittelt, unangemeldet, wie einen plötzlichen Schuß hatte Wüllner diese Frage abgefeuert. Und dieser Schuß traf. Hilde wirbelte den Kopf zu ihm herum, und der alte Kampfgeist, der ihr in der S-Bahn so gut gestanden hatte, flammte wieder auf.
    »Ich bin zweiundzwanzig«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher