Heimaturlaub
Dirne. »Die macht's unter Tarif, wenn ihr der Bubi gefällt!«
Und sie kreischte laut auf, weil ihr Begleiter ihr unter den Rock faßte.
Heinz Wüllner ging weiter. Ein bitterer Geschmack lag ihm auf der Zunge.
Armes Deutschland!
3
Am nächsten Abend war Heinz Wüllner pünktlich um 20 Uhr an dem steinernen Elefantenmonument des Berliner Zoos und hielt in der Hand einen kleinen Strauß Blumen, den er in einem Treibhaus bei Dahlem für viel Geld und noch mehr gute Worte erhandelt hatte.
Kurz darauf bog auch schon Hilde um die Ecke.
»Guten Abend, Herr Wüllner. Sie stehen da, als wollten Sie etwas durch die Blume sagen!«
Heinz zog seinen Hut.
»Es ist weniger romantisch, etwas durch die Blume zu sagen, als mit der Blume etwas sagen zu wollen.«
Und damit reichte er Hilde den Strauß. Fräulein Brandes errötete leicht und ärgerte sich sofort darüber, denn diese Verlegenheit ließ deutlich erkennen, daß sie über das Geschenk Wüllners – Frühlingsblumen im Winter – sehr erfreut war.
»Sie haben sich meinetwegen in Unkosten gestürzt«, sagte sie mit vorwurfsvoller Stimme. »Das war leichtsinnig, zumal Sie nicht wußten, ob ich wirklich kommen würde.«
»Sie sind aber gekommen!« verteidigte sich Heinz.
»Aber Sie konnten es nicht wissen.«
»Doch.«
»Wieso?«
»Weil ich Vertrauen zu Ihnen hatte und mir einredete: Sagt dieses Mädchen ja, so kommt sie auch.«
So einfach dieser Satz klang, so große Wirkung hatte er auf Hilde. Und als Heinz jetzt fragte: »Ich hoffe, Sie haben auch Vertrauen zu mir«, da antwortete sie mit einem schüchternen Lächeln:
»Wäre ich sonst gekommen?«
Wüllner konnte nicht anders – er drückte den schlanken Mädchenkörper an sich, und Hilde Brandes machte keinen Versuch, dieser Annäherung auszuweichen.
Sie gingen Richtung Stadtmitte und standen schneller, als es beiden lieb war, vor einem großen Haus mit der Aufschrift: Borchardt.
Wüllner zeigte auf den Eingang:
»Hinter dieser Tür wohnen die Genüsse des Lukull. Liebste Aphrodite, hättet Ihr Lust, mit Paris zu speisen?«
»Paris mag bedenken, daß Ambrosia selten ist und die Götter deshalb Bezugsscheine ausgeben.«
»Aber wenn Paris schon alles herrichtete und die Tafel nur der Schlemmer entbehrt?«
»Dann müssen wir gehen.«
Lachend traten sie durch die breite Tür in das bekannte Lokal, wo ein Kellner ihnen die Garderobe abnahm und ein anderer sie zu einem reservierten Tisch in der Ecke des großen Speiseraumes führte. Wüllner schien hier bekannt zu sein, die Kellner nannten ihn beim Namen, und während sie durch den Saal schritten, nickte er zu einigen Tischen hinüber, von wo sein Gruß mit lustigem Blinzeln und Widernicken erwidert wurde.
»Hier ist das Ministerium«, flüsterte Heinz im Gehen Hilde zu. »Die Leute an den Tischen sind meistens Ministerialräte, hohe Parteifunktionäre, SS in Zivil, Männer der Propaganda und des Außenministeriums. Und wissen Sie, warum sie hier essen? Nicht, weil es besser schmeckt, sondern weil sie unter dem Tisch eine Flasche Wein bekommen.«
Hilde sah sich erstaunt um. Da saßen würdige Herren, junge Männer mit Künstlermähnen oder kurzgeschorenen Haaren, Damen der anscheinend besten Gesellschaft, und doch schien es ihr, als knackte es irgendwo in diesem Schein der Jovialität, als riesele eine schmale Blutspur unter manchem dieser Tische hervor.
»Die Damen sind größtenteils die Mätressen der Herren«, flüsterte Heinz weiter, »nur die wenigsten sind mit ihren Frauen hier.«
»Und warum führen Sie mich gerade in dieses Lokal?« fragte Hilde ebenso leise.
»Damit Sie einmal einen winzigen Einblick in die Gesellschaft bekommen, die uns regiert und die uns Vorbild sein soll. Was hier gegen Morgen betrunken und lüstern herauskommt, ist die Creme der oberen Zehntausend; vor wenigen Jahren hatten die noch nicht einmal soviel, daß sie sich einen Stehplatz im Theater oder Kino erlauben konnten.«
Hilde Brandes erschrak; die letzten Worte hatte Wüllner lauter gesprochen. Aber der Kellner schritt ihnen unbeeindruckt voraus, und der Gang zwischen den Tischen war so breit, daß man einzelne Worte nicht verstehen konnte.
Dann standen sie vor dem zugewiesenen Tisch, und Heinz schob ihr den Sessel zurecht. Bequem ließ er sich dann selbst in die Polster fallen, während ein anderer Kellner schon eine Vase brachte, um die Blumen von Hilde mit Wasser zu versorgen.
Wüllner mußte unwillkürlich lächeln. Die Organisation in diesem Lokal klappte,
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