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Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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beschäftigt.
    Erst nach einer ganzen Weile fragte Heinz:
    »Wie spät mag es sein?«
    Hilde sah auf ihre kleine Platinarmbanduhr, ein Konfirmationsgeschenk der Großmutter.
    »Gleich vierundzwanzig Uhr.«
    »Mitternacht. Wollen wir das Radio anstellen?«
    »Wenn du willst.«
    Wüllner stand auf, ging zum Apparat und schaltete ihn ein. Hildes Uhr ging nach – die 24-Uhr-Nachrichten waren schon zu Ende, und Wilhelm Strienz sang mit seiner vollen, tiefen Stimme das Nachtlied, das unzählige Menschen in der Heimat und an den Fronten des Krieges jetzt voller Sehnsucht hören mochten:
    »Hört ihr Leut und laßt euch sagen,
löscht das Licht und geht zur Ruh,
wenn die Mitternacht geschlagen,
geht's dem neuen Morgen zu.
    Guten Mut in allen Dingen,
mag ein rechter Schlaf bescher'n,
mög ein Band euch all umschlingen,
eure Lieben nah und fern …«
    Wüllner zog die Radio-Zuleitungsschnur aus dem elektrischen Steckkontakt an der Wand, und plötzlich war es wieder still im Raum. Nur das leise Atmen Hildes war zu hören. Ein feines Beben durchzog ihren Körper.
    Weinte sie? Fror sie? Wüllner faßte ihr leicht unter das Kinn, hob das widerstrebende Gesicht zu sich, küßte ihre Augen.
    Unter seinen Küssen lächelte sie.
    »Ich bin so glücklich … so unsagbar glücklich … Kann das immer so bleiben … darf es überhaupt so bleiben … das Glück?«
    Da nahm Wüllner den kleinen Buddha aus der Tasche, den er von zu Hause mitgebracht hatte, und drückte ihn Hilde in die Hand.
    »Was ist das? Ein Buddha? Und mit Rubinaugen?«
    »Ein Andenken an Tibet.«
    »Du warst auch schon in Asien?«
    »Vor dem Krieg … 1938. Ich reiste damals ganz allein, nur mit meiner Kamera, einem Auto und einem Schäferhund. Und dieser Buddha rettete mir mehrfach das Leben. In Lhasa, der heiligen Stadt des Dalai-Lama, gab ihn mir ein Oberpriester als Ausweis für alle Gegenden, denn es war einem Fremden bei Todesstrafe verboten, die heilige Stadt zu betreten oder die Klöster aufzusuchen. Wie oft wurde ich in diesen Monaten von Lamakriegern gefangen, und immer war es der kleine Buddha, der mich rettete. So wurde er mein Talisman in all den Jahren, die folgten – und er tat seine Pflicht.«
    »Und du trägst ihn immer bei dir?«
    »Nicht immer. Aber von heute an soll er jemand anderem Glück bringen und ihn trösten über alle Gefahren und Sorgen … er gehört dir.«
    »Nein, Heinz.«
    »Nimm ihn! Mein eigener Talisman ist von heute an etwas anderes: deine Liebe!«
    Hilde strich mit dem Zeigefinger zart über den kleinen, dicken Bauch der Figur und tippte auf die Rubinaugen.
    »Ich danke dir, Heinz … Er wird mich an dich erinnern, sooft ich ihn sehe.«
    »Habe ich auch eine solch dicke Figur?«
    »Er hat dir das Leben gerettet. Ist ein Stück von dir geworden in allen Gefahren … und ich werde ihn lieben und immer bei mir tragen, und sein lachender Mund wird leise zu mir sagen: Ich soll dich grüßen von deinem Schnöselchen …«
    Wieder barg sie ihren Kopf an seiner Schulter.
    Sacht hob Wüllner sie auf, trug sie zur Couch und bettete sie auf die Kissen. Dann ging er zur Garderobenablage, zog seinen Mantel an und trat wieder zu Hilde.
    Sie richtete sich erstaunt auf.
    »Du willst gehen?«
    »Ich muß! Morgen – nein, heute – ganz früh habe ich eine Besprechung in Potsdam – da muß ich die erste S-Bahn nehmen.«
    »Es ist so einsam ohne dich …«
    »Morgen und übermorgen … immer bleibe ich bei dir, und du sollst träumen in meinen Armen …«
    Hilde erhob sich. »Wann kommst du morgen?«
    Wüllner blickte zur Seite.
    »Um elf Uhr bin ich wieder da«, log er und fügte hinzu: »… wenn es sich einrichten läßt …« Dann riß er Hilde in seine Arme, küßte sie wild, strich mit den Lippen über ihren Hals und stammelte dabei: »Lebe wohl … Lebe wohl … Lebe wohl« und »Ich liebe dich«, und »Verzeih mir« und immer wieder »Lebe wohl … Lebe wohl …«
    Dann riß er sich los, eilte zur Tür, öffnete sie und taumelte hinaus in die kalte, dunkle Winternacht. Zitternd sank Hilde zurück in die Kissen und krallte sich mit den Händen in die Federn, um nicht laut aufzuschreien. Sie wußte nicht, warum; sie ahnte nicht, weshalb … aber ihr Herz wollte schreien, ihre Seele schluchzen, und der Körper schüttelte sich wie in Krämpfen.
    So schlief sie ein … festgekrallt in die Kissen, den Kopf vergraben, tränennaß und müde.
    In dieser Nacht sahen zwei verspätete Bummler einen Mann im Tiergarten vor einem großen Schneemann

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