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Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stehen und ihm über das Gesicht streicheln. Fast schien es, als weine dieser Mann.
    Da sagte der eine Nachtbummler zum anderen: »Du, Willke – ick globe, et jibt in Berlin noch mehr Besoffene als uns …«
    Hilde hatte am nächsten Vormittag den Tisch wie in einem Bilderbuch gedeckt. Der letzte Bohnenkaffee der Sonderzuteilung hatte daran glauben müssen, ein bißchen Kuchen war auch ersteigert worden, und in der Mitte stand in einer großen Vase ein Blumenstrauß aus Narzissen, den ihr Heinz vor einer halben Stunde durch einen Boten geschickt hatte. Eine Karte lag nicht dabei, und der Junge konnte beschwören, daß auch keine abgegeben war. Ein bißchen merkwürdig kam es ihr schon vor, daß Heinz Blumen schickte, wenn er doch selbst bald kam – aber dann verdrängte sie den Gedanken.
    Noch einmal überblickte sie ihren Tisch, zupfte hier und dort ein Fältchen zurecht, besah sich im Spiegel in ihrem neu geschneiderten Kleid.
    Die Zeit eilte schnell dahin. Schon war es halb elf, doch Heinz hatte ja gesagt, daß er gegen elf Uhr kommen wollte – und so setzte sich Hilde in eine Ecke, nahm ihre Bücher und vertiefte sich in die Gedanken des Philosophen Schelling.
    So merkte sie nicht, daß es elf, halb zwölf wurde, und erst als die Uhr zwölf schlug, zuckte sie hoch.
    Unruhig ging sie im Atelier hin und her und ließ vor ihrem inneren Auge den gestrigen Abend vorüberziehen. Da war diese Schweigsamkeit, dann der plötzliche Ausbruch mit dem immer neu wiederholten ›Lebewohl‹ – wie ein Blitz aus heiterem Himmel überkam Hilde die erschreckende Erkenntnis:
    Das war ein Abschied für immer gewesen … Nie mehr würde sie Heinz sehen, nie mehr seine Stimme hören, seine Lippen spüren und das zärtliche Streicheln seiner Hände. Aber warum? Mein Gott – warum? Was hatte sie ihm getan, daß er ihr Narzissen zum Abschied schickte und eine große Liebe so begrub? War denn alles nur eine Lüge gewesen?
    Mit einem Sprung stand Hilde auf und riß die Blumen aus der Vase und schleuderte sie zu Boden. Aber kaum hatte sie es getan, kniete sie nieder, legte die Wangen auf die kühlen Kelche der Narzissen, und ihre Tränen rannen über die Blüten.
    So an der Erde liegend, weinend und die Blumen küssend, fand Oma Bunitz sie, die von einem Einkauf nach Hause zurückkehrte.
    Für Oma Bunitz lag der Fall sofort klar. Sie hatte in ihrer Wohnung schon viele Mädchen getröstet, die genauso verzweifelt waren wie diese kleine Hilde Brandes.
    »Hat dieser Schuft Sie verlassen?«
    Hilde blickte auf und erhob sich.
    »Ich weiß es nicht«, schluchzte sie. »Oh, ich weiß es nicht …«
    Und sie erzählte Oma Bunitz von ihrem letzten Abend. Von den letzten Worten Wüllners, wie sie wartete und wie die Zeit verging.
    Da wurde Oma Bunitz ernst.
    »Er wollte um elf Uhr hier sein? Und er war gestern in gedrückter Stimmung? Kind, Kind … das ist kein Schuft, aber ein Feigling, ein großer Feigling …«
    »Wieso, Oma Bunitz?«
    »Ich komme eben von Frau Wirtz. Ihr Junge ist heute mit einem Truppentransport an die Front … nach Rußland … vom Bahnhof Zoo aus … um halb zwölf … Und er hinterließ einen kleinen Zettel, auf dem unter anderem stand: Wir haben einen neuen Oberleutnant – einen tollen Kerl!«
    »Heinz!« schrie Hilde auf. Sie mußte sich an der Tischkante festhalten. – »Nach Rußland … Heinz nach Rußland? … Wieder in das Grauen …« Sie warf sich laut aufschluchzend in den Sessel und schlug die Hände vor das Gesicht.
    Oma Bunitz trat zu ihr und streichelte über die blonden Locken.
    »Fahre zu ihm nach Hause. Dort wissen sie bestimmt, wo er hingekommen ist.«
    »Aber ich kann doch nicht zu einem Mann … Ich soll wirklich hinfahren?«
    »Ja, und zwar gleich. So was nennt sich nun Schriftleiter. Kneift nach Rußland aus ohne Abschied, weil er den Abschied scheut. Dem würde ich es geben, wenn er wiederkommt. Und nun zieh deinen Mantel an – wo wohnt er denn?«
    »In Dahlem.«
    »Also dann auf nach Dahlem. Wenn du erfährst, daß er der neue Oberleutnant ist, dann versuche, seinen Transport zu erreichen – vielleicht triffst du ihn noch.«
    »Aber wo?«
    »In Friedrichshagen halten die meisten Transporte noch einmal an, ehe sie auf die Strecke nach Frankfurt an der Oder rollen und weiter nach Osten. Aber du mußt dich beeilen.«
    Sie holte Hildes Mantel, zog ihn ihr an, nahm das Kopftuch, band es ihr um die Locken und drückte ihr die kleine Handtasche zwischen die Finger. Dann schob Oma Bunitz sie

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