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Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Scielce-Borrisow erzwingen wollten.
    Vorsichtig, eng mit dem Körper an den Boden gedrückt, arbeitete sich Wüllner in dem unübersichtlichen Gelände vor, in dem vor zwei Tagen die Patrouille eines Nachbarregiments durch eine MG-Garbe völlig aufgerieben wurde. Vorbei an den verstreut liegenden Leichen kroch Heinz einem kleinen, verholzten Gebüsch zu, das wie ein drohender Schatten gegen den Nachthimmel ragte. Hinter diesem Gebüsch lag ein Bunker der Russen. Links davon, mit freiem Schußfeld, ein schweres Maschinengewehr.
    Meter um Meter schob sich Wüllner näher. Da zuckte er plötzlich zurück: Ein leises Röcheln war zu hören.
    Fest preßte er sich an den Boden und verhielt den Atem. Da war es wieder … dieses Röcheln … ein merkwürdiges Glucksen, ein Stöhnen … dann wieder Stille. Nur das Rauschen der Zweige drang durch die Dunkelheit.
    Schon wollte Heinz dem Spähtrupp folgen, als ein leiser Schrei durch die Stille zitterte. Kein Zweifel, das mußte aus dem Gebüsch vor ihm kommen.
    Wüllner überlegte nicht lange. Was spielte es für eine Rolle, daß dieses Gebüsch abseits seines Erkundungsweges lag, daß in seiner Nähe ein schweres Maschinengewehr stand und ein Bunker voller Russen. Was machte es aus, daß wieder der Tod frohlockte. Hier ging es darum, einem Menschen zu helfen. Alles andere schien ihm in diesem Augenblick weniger wichtig. Und es war ihm auch gleich, welcher Nation dieser Mensch angehören mochte. Er war ein Opfer des Krieges wie er selbst – ein Kamerad. Hier galten keine Grenzen und keine Gesetze außer dem inneren Gesetz der Menschenpflicht und der Barmherzigkeit. Wer nur einen Tag im Chaos der entfesselten Schlacht stand, der wußte, was es heißt, Kamerad zu sein. Der sagt dieses Wort nicht so einfach hin wie Erbsensuppe oder Kommißbrot; der fühlt, welch eine Ehre es ist, von Kameraden umgeben zu sein, und er lernt erkennen, daß auch ein einziges Wort heilig sein kann.
    Vorsichtig, nach jedem Zug der Arme eine kurze Pause einlegend, arbeitete sich Wüllner auf dem Bauch zu dem Gebüsch und bog leise die Zweige auseinander. Die Augen, die sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, begannen ihn zu schmerzen, denn so angestrengt er das Gewirr der Zweige durchdringen suchte, er entdeckte nichts, was auf einen liegenden oder sitzenden Menschen hindeuten konnte.
    Da kam das Stöhnen wieder. Der Ton schien aus der Erde zu dringen, dumpf, röchelnd.
    Wüllner hatte in seinem bestimmt nicht ruhigen Leben so manche merkwürdige und schauerliche Situation durchlebt, aber dieses Stöhnen aus der Erde, inmitten eines Gebüsches in greifbarer Nähe des vielhundertfachen Todes, dieses Röcheln und Wimmern ließ ihn erschauern.
    Langsam schob er die Zweige noch weiter beiseite und kroch tiefer in das Gestrüpp. Da sah er vor sich ein etwa zwei Meter tiefes Loch, das eine mittelschwere Granate in das Gebüsch gerissen hatte. In diesem Loch, das zu einem Drittel angefüllt war mit Wasser, lag ein menschlicher Körper!
    Ein Körper, der lebte, der sich im Schlamm hin und her bewegte, der sich jetzt aufbäumte und leise aufschrie. Dabei meinte Heinz zu sehen, wie dieser Mensch vergeblich versuchte, seinen rechten Arm in die Höhe zu bringen, um sich aus dem Loch zu stemmen oder aufzurichten.
    So schnell es die Vorsicht erlaubte, kroch Wüllner an den Rand des Trichters, streckte beide Hände aus und faßte den Körper unter den Achseln. Vorsichtig versuchte er, ihn aufzurichten, aber ein lauter Schmerzensschrei hinderte ihn daran, fester zuzupacken.
    Für Minuten stellte Heinz seine Bemühungen ein und lauschte in die Nacht, ob der Schrei nicht den Posten am MG alarmiert hatte. Doch nichts rührte sich … nur das Stöhnen blieb in der Nacht hängen.
    Behutsam ließ sich Wüllner in den Trichter gleiten, legte den linken Arm des Verwundeten um seinen Hals und versuchte, den Körper mit sich emporzustemmen. Aber wie eine ungeheure Zentnerlast hing der Verwundete an ihm. Nur unter Aufbietung aller Kräfte gelang es Heinz endlich, den Körper zum Rand des Loches emporzuziehen … Da zischte von den russischen Gräben eine Leuchtkugel in den Nachthimmel und tauchte für eine kurze Zeit die ganze Umgebung in ein blendendes Licht.
    Wüllner, der sich beim Emporzischen der Leuchtkugel instinktmäßig geduckt hatte, richtete sich jetzt wieder auf. Das erste, was er wahrnahm, war das graue Tuch des Verwundeten. Also ein deutscher Soldat, wohl der letzte Überlebende der vor zwei Tagen aufgeriebenen

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