Heimkehr
zum Lesen der Karten beim Fliegen eine Brille?«
» MEIN KOPF IST NICHT SO KAHL WIE EINE BILLARDKUGEL !« stellte ich klar. »Zu meiner Auffassung vom Körper gehört, daß ich mich für eine Frisur entschieden habe, die ein wenig praktischer ist als die alte; und wenn eine feine Druckschrift unscharf aussieht, so betrachte ich sie durch eine Brille und bilde mir ein, daß die Buchstaben schärfer werden. Vielleicht kommt es ja davon, daß ich, als ich du war, jeden Tag bemerkte, daß Vaters Haar dünner war als meines und daß Mutter eine Brille zum Lesen benutzte?«
Er antwortete nicht.
»Eben weil ich weiß, daß mein Körper ein Spiegel meines Denkens ist«, sagte ich, »bin ich nicht bequem und mache mir meine Entscheidungen nicht leicht. In dem Augenblick, wo mein Körpergefühl ernstlich gestört ist, wird es höchste Zeit, es zu ändern, und genau das tue ich dann.«
»Was ist, wenn du wirklich krank bist?« fragte er. »Ohne Quatsch bitte!«
»Das kommt nicht vor. In den vielen Jahren vielleicht ein einziges Mal. Als ich fliegen lernte, war ich davon überzeugt, daß Flugzeugpiloten niemals krank werden. Und es stimmt. Von denen, die oft fliegen, ist keiner krank.«
Er schaute mich mißtrauisch an. »Wieso?«
Nur durch die richtigen Fragen können wir die richtigen Antworten finden, dachte ich. Als ich meinen Mund öffnete, hatte ich noch keinen blassen Schimmer, wieso die Flieger ein so gesundes Völkchen waren.
»Fliegen ist immer noch ein Traum«, sagte ich, »für viele von uns. Wie viele Träume bleiben unerfüllt und machen uns deshalb krank? Lebe das aus, wovon du immer geträumt hast — dann haben Krankheiten keine Chance.«
Er lächelte, während er weiter den Berg erklomm, als ob er meine Gedanken gelesen hätte. »Du führst mich an der Nase herum, Richard«, sagte er. »Du bist wie Dad. Du nimmst mich auf den Arm, und du tust es mit diesem ach-so-ernsten Gesichtsausdruck.«
»Glaub mir nicht. Mach deine Erfahrungen selbst, Kapitän. Irgendwo existiert eine Studie, sie vergleicht die Gesundheit derer, die machen, was sie wirklich wollen, mit dem Befinden der Unglücklichen, die einfach nur arbeiten. Wer ist deiner Meinung nach besser dran?«
»Soll ich raten?«
»Und wenn es gar keine Studie gibt?« sagte ich. »Hast du dann richtig oder falsch geraten?«
Er lächelte verdutzt.
»Man nennt das ein Gedankenexperiment«, erklärte ich ihm. »Es ist eine Methode, herauszufinden, was man bereits weiß.«
»Gedankenexperiment?« fragte er. »Toll!«
»Du möchtest Antworten hören?«
»Hab dich nicht so, Richard. Natürlich!«
»Nein«, erwiderte ich.
»Wieso nicht?«
»Weil sich die Antworten ändern«, sagte ich. »Du willst weder eine Million Antworten noch lediglich eine Handvoll Fragen. Fragen sind wie Diamanten, die du gegen das Licht hältst. Betrachte einen Edelstein ein Leben lang, und du wirst dasselbe Juwel in verschiedenen Farben sehen. Auf die Fragen, die immer wieder gestellt werden, erhältst du gerade jene Antworten, die du in eben diesem Moment benötigst.«
Er runzelte die Stirn und richtete seine Augen beim Klettern auf die Bergspitze. »Was für Fragen?«
»Fragen wie Wer bin ich?«
Er blieb unbeeindruckt. »Zum Beispiel?«
»Sagen wir zum Beispiel, du hast ein Problem. Jeder in der Schule will sich durch irgendwas beliebt machen. Willst du das auch? Kannst du nur selbstsicher und du selbst sein, wenn du Klamotten trägst, Meinungen vertrittst und Vorurteile hast, die gerade Mode sind?«
»Ich weiß es nicht. Ich möchte Freunde haben…«
»Und das ist dein Problem. Such dir eine ruhige Ecke und frage dich: Wer bin ich?«
Wir waren nun schon so hoch geklettert, daß wir einen weiten Blick über die samtgrüne Wiese hatten. War sie ein Abbild meiner inneren Landschaft? Blühte sie auf, weil ich mein inneres Kind gefunden hatte und dabei war, es zu befreien?
»Wer bin ich?« fragte er. »Und was dann?«
»Dann mußt du in dich hineinhören. Und dabei wirst du dich erinnern. Du bist jemand, der auf der Erde gelandet ist, um etwas Bemerkenswertes zu vollbringen. Ist das damit vereinbar, daß du dir jede blöde Meinung jedes x-beliebigen Einfaltspinsels, der das Sagen hat, zu eigen machst, um Freunde zu haben?«
»Na hör mal…!«
»Wer bin ich? Diese Frage nutzt sich nicht ab, Dickie. Sie hilft dir, von Zeit zu Zeit, dein ganzes Leben lang, die richtigen Entscheidungen zu treffen.«
»Wer sind meine Freunde?«
»Du hast es erfaßt!« sagte ich und war
Weitere Kostenlose Bücher