Heimkehr am Morgen (German Edition)
nur tagsüber.«
»Hmmm.« Er rang sich ein säuerliches Lächeln ab.
»Ich würde Ihnen gern anbieten, Sie hier herumzuführen und auf den aktuellen Stand zu bringen, was die Patienten betrifft, aber ich bin sicher, dass Sie nach der langen Reise sehr müde sind. Sollen wir uns morgen früh wieder hier treffen?«
»Ja – morgen. Das wäre besser.«
Mit schleppendem Schritt ging Frederick Pearson zum Hotel zurück und stieg zu seinem Zimmer im zweiten Stock hinauf. Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ er sein ausladendes Hinterteil auf das fadenscheinige Polster des Ohrensessels sinken und wünschte sich verzweifelt fort von diesem Provinzkaff, diesem Fettfleck auf der Landkarte.
Er war so empört über das, was er bisher gehört und gesehen hatte, dass ihm schier der Kopf platzte. Ihm war, als hätte ihn der greise Fährmann Charon über den Totenfluss Acheron direkt in Dantes ersten Höllenkreis befördert.
Zum wiederholten Mal wünschte er sich, er wäre nie gezwungen gewesen, sein zivilisiertes Connecticut zu verlassen, um hier bei diesen primitiven, ungehobelten Wilden weit weg von der Ostküste sein Dasein zu fristen. Wie schrecklich vermisste er das Herrenhaus der Pearsons in Hartford mit seinen weitläufigen, gepflegten Anlagen, den ehrerbietigen, tüchtigen Dienstboten und anderen elementaren Annehmlichkeiten, die ihm seit seiner überstürzten Abreise nicht mehr vergönnt gewesen waren.
Er sehnte sich nach den herrlichen Sommermonaten, die er im Cottage der Pearsons in Newport, Rhode Island, verbracht hatte.
Cottage
war eine unzulängliche, aber liebevolle Bezeichnung für die prächtigen Villen mit Marmor und Goldverzierungen, die den angesehensten Familien gehörten und wo er die anregende Gesellschaft anderer Sommerfrischler wie der Vanderbilts, Berwinds und Astors genossen hatte. Die Wintersaison war angefüllt mit Konzerten und Theateraufführungen, eleganten Weihnachtssoireén, geistreichen Dinnerpartys, wöchentlich stattfindenden literarischen Salons und Ausflügen nach New York City. Dieses kultivierte, sorgenfreie Leben war jetzt nur noch die Erinnerung an eine längst vergangene Zeit, in die er sich sehnlichst zurückwünschte. Je weiter er nach Westen gereist war, umso primitiver schien das Land zu werden. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn plötzlich Cowboys und Indianer mit Kriegsgeheul die schlammige Straße vor dem Hotel entlanggaloppiert gekommen wären.
Er stand auf und trat zum Garderobenständer, an dem sein Jackett hing. Aus der Innentasche zog er einen silbernen Flachmann, der ihn auf seiner Reise begleitet hatte und noch einen letzten Rest Cognac enthielt. Suchend sah er sich im Raum um, aber da es nicht einmal ein normales Wasserglas gab, war er gezwungen, den erlesenen französischen Weinbrand direkt aus der Flasche zu trinken.Niedergeschlagen ließ er sich wieder in den Ohrensessel aus Rosshaar plumpsen, der schon bessere Tage erlebt hatte.
Auch wenn es nicht in Fredericks Natur lag, das Positive an Situationen zu sehen, die sich nun einmal nicht ändern ließen, musste er doch eingestehen, dass er durch die politischen Verbindungen seines Vaters zumindest vom Kriegsdienst verschont geblieben war. Daher befand er sich jetzt wenigstens nicht in einem französischen Lazarett und musste unter noch schlimmeren Bedingungen als hier in Powell Springs arbeiten.
Natürlich gab es im Leben nichts umsonst. Unglücklicherweise war ihm nicht klar gewesen, dass der Senator, der das alles gedeichselt hatte, als Gegenleistung für diese Gunst von ihm erwartete, seine älteste und am wenigsten präsentable Tochter zu ehelichen. Der jungen Dame mangelte es derart an Reizen, dass sie im Alter von achtundzwanzig Jahren immer noch ledig war. Daran hatte auch ein Heer von Privatlehrern und Tanzlehrern sowie der Besuch eines Mädchenpensionats nichts ändern können, sie hatte jeden der zahllosen Heiratskandidaten vergrault. Die Frau des Senators war sogar so weit gegangen, die Verlobung ihrer altjüngferlichen Tochter »auszuplaudern«, was Frederick natürlich nicht dulden konnte. Nach einer hässlichen Szene, bei der erneut die Drohung im Raum gestanden hatte, dass man ihn zum Kriegsdienst einziehen würde – diesmal als Infanterist –, hatte Frederick Pearson sich bereit erklärt, eine Stelle als Arzt in einem entlegenen Teil des Landes anzunehmen.
In seinem Briefwechsel mit Bürgermeister Cookson hatte man ihn glauben lassen, Powell Springs sei eine
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