Heimkehr am Morgen (German Edition)
überfordert.«
Jessica rollte mit den Augen und seufzte. »Ich weiß ja nicht, wie gut es mit
ihm
hier klappen wird. Powell Springs hat ihn nicht verdient, finde ich, selbst wenn es sich von seiner schlechtesten Seite zeigt.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf das Arbeitszimmer, wo gerade Kaffee durchlief.
Er folgte ihr und machte es sich auf einem der Stühle bequem, den Fuß auf dem Knie. »Warum?«
Sie sah nach, wie weit der Kaffee war, fegte einige verstreute Krümel vom Arbeitstisch, warf sie in den Papierkorb und streifte sich die Hände ab. »Abgesehen von der Tatsache, dass er sich herablassend und beleidigend verhält und weibliche Ärzte ablehnt, habe ich den Eindruck, dass er sich hier wie ein Fisch auf dem Trockenen fühlt. Er gehört ganz offensichtlich zu den oberen Zehntausend von Neuengland und ist, wie es scheint, ziemlich von sich überzeugt.«
»Hm, ich glaube, das wird ein interessanter Abend.«
»Was ist denn heute Abend?«
»Adam Jacobsen hat eine Bürgerversammlung im Rathaus einberufen. Er möchte Pearson offiziell willkommen heißen und, na ja …« Für einen Moment wandte er den Blick ab.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Und mich aus der Stadt jagen.«
Er kippelte mit dem Stuhl und balancierte ihn auf den beiden hinteren Beinen. »Sie haben es nicht wörtlich so formuliert. Auf meinen Kopf haben sie es jedenfalls auch abgesehen. Adam möchte, dass Whit Gannon mir den Stern wieder abnimmt. Das habeich zumindest heute Vormittag gehört. Zum Teufel damit, soll er das verdammte Ding doch haben. Ich habe auch so genug zu tun.«
Sie warf die Hände nach oben. »Und Horace Cookson hat sich zu all dem breitschlagen lassen, obwohl immer noch die Grippe grassiert und große Versammlungen verboten worden sind?«
»Horace ist nicht mehr derselbe, seit seine Frau und sein Sohn gestorben sind. Ich kann mir vorstellen, wie er sich fühlt.«
Jess ließ die Arme fallen und lockerte die verspannten Schultern. »Wirst du zu der Versammlung gehen?«
»Ja, und ich denke, das solltest du auch.«
Ihr blieb der Mund offen stehen. »Um mich Adam und seinen Anhängern selbst auszuliefern? Damit sie mich gleich öffentlich steinigen können, ohne mich erst holen zu kommen? Nein danke, ohne mich.« Sie griff nach der Kaffeekanne, goss zwei Tassen ein, und gab je einen Schuss Sahne dazu.
»So habe ich es nicht gemeint, und das weißt du. Du solltest dich ihm stellen. Er ist bloß ein einzelner Mann und ein Waschlappen noch dazu. Er besitzt nur so viel Macht über die Menschen hier, weil ihn nie jemand herausgefordert hat. Du gehörst schließlich auch hierher, bist hier geboren und aufgewachsen.«
»Ich habe mein Versprechen erfüllt und bin bis Pearsons Ankunft eingesprungen. Jetzt hat Powell Springs wieder einen Arzt, und meine Aufgabe ist erledigt.«
Er hörte auf zu kippeln und stand auf, um die Tasse Kaffee von ihr entgegenzunehmen. »Also wirst du heute Abend nicht kommen?«
Die Hüfte gegen die Tischkante gelehnt, nippte sie an ihrem Kaffee. »Du hast doch gesehen, wie aufgebracht die Leute waren, die das Fenster eingeworfen haben. Ich kann mir leicht vorstellen, dass diese Versammlung zu einem Femegericht ausartet. Bevor ich weiß, wie mir geschieht, werfen sie mich vielleicht in den Powell Creek.«
Schweigend schaute er sie an. In der entstehenden Stille konnte sie seinen Ledergürtel im Rhythmus seiner Atemzüge knarzen hören. »Ich weiß, dass du das Powell Springs im Grunde deines Herzens nicht zutraust. Du bist immer eine Kämpferin gewesen, Jess.«
»Vielleicht. Aber ich muss so
viele
Schlachten schlagen, und ich bin es müde. Manche Kämpfe sind einfach zu anstrengend.« In diesem Augenblick fühlte sie sich fast genauso niedergeschmettert wie zu dem Zeitpunkt, als sie den Osten verlassen hatte.
Schließlich nickte er, als habe er sie verstanden. Er streckte die Hand aus und strich ihr eine lose Strähne hinters Ohr. Bei seiner Berührung bekam sie eine Gänsehaut auf den Armen. »Dann werde ich diesen Kampf für dich führen. Ich habe in letzter Zeit zu viel verloren, um jetzt einfach aufzugeben, und ich werde nicht tatenlos zusehen, wie diese frömmelnden Heuchler uns beide in der Luft zerreißen.«
Spontan presste sie einen schnellen, harten Kuss auf seine Lippen. »Ich hoffe, du gewinnst.«
Um Viertel vor sieben herrschte im Sitzungssaal des Rathauses drangvolle Enge, und die Menschen stauten sich bis hinaus auf den Flur. Jeder, der sich gesundheitlich
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