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Heimkehr der Vorfahren

Heimkehr der Vorfahren

Titel: Heimkehr der Vorfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhardt del'Antonio
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selten mit den Augen anderer gesehen. Bescheidener, menschlicher? Er schämte sich.
Als er die Tür des Chefzimmers hinter sich geschlossen hatte, überkam ihn das Bedürfnis, einmal alles hinter sich zu lassen, die Arbeit, die Gedanken, und… Er wollte einmal nur nett sein, liebenswert, fröhlich, unbeschwert. Es war ihm, als müsse er sich beweisen, daß er das noch könne.
Er ließ seine Bekannten in Gedanken an sich vorüberziehen. Auf einmal entsann er sich der Dozentin für Musik. Seit Monaten hatte er sie nicht mehr gesehen. Er rief sie an.
Die Vermittlung schaltete sich ein. »Der Teilnehmer ist nicht am Ort. Wir verbinden weiter.« Auf dem Schirm verblaßte das Dia des regionalen Amtes. Ein neues Bild. »Funksprechvermittlung Venedig – einen Augenblick bitte.«
Endlich erschien auf dem Schirm ein Frauenkopf.
»Guten Tag, Djama!«
»Raiger – du lebst noch?« Verwirrt blies sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Die Monate schrumpften zusammen, ihm war, als wären sie erst gestern beisammen gewesen. Er begriff nicht mehr, weshalb er nicht viel eher an sie gedacht hatte.
»Ich hätte mich gern mit dir getroffen, ich wußte doch nicht, daß du nicht hier bist. Was machst du dort?«
»Vertretung am Konservatorium. Wenn du willst, komm doch her! Ob wir nun dort auf dem Platz der Astronauten oder hier auf dem Markusplatz promenieren… Heute ist hier großes Strandfest.«
Sie drehte das Bildsprechgerät. Die Spitze eines Schnellbootes, das eine hohe Bugwelle aufwarf, wurde sichtbar. Dem Boot folgte eine Frau auf Wasserskiern. Es waren mehrere Personen an Bord, auch Männer. Aber Djamas Strandkleid war neutral. Dennoch hatte Raiger es plötzlich eilig.
»Ich komme, Djama. Erwartest du mich am Flugplatz? Ich kann in…«, er sah auf die Uhr, »in drei Stunden dort sein.«
»Und welche Farbe wird dein Anzug haben? Nur, daß mein Kleid dazu paßt«, fragte sie. Es war wie damals.
    Drei Stunden nach dem Anruf traf er in Venedig ein. Er sah Djama schon vom Zubringerwagen aus vor dem Empfangsgebäude stehen. Sie winkte und freute sich so, daß er sich fragte, weshalb er sie eigentlich gemieden hatte. Doch er war erleichtert; es sah nicht so aus, als trüge sie ihm das nach.
    Sie hängte sich bei ihm ein und zog ihn zur Schnellbahn.
    »Woran denkst du jetzt?« fragte sie, als er sie schweigend betrachtete.
»Du bist wie ein Geigenton.«
Sie lächelte. »Und du bist der Paukenschlag, ja?«
»Wieso?«
»Nun«, sagte sie, blickte ihren Fuß an, mit dem sie spielerisch Kreise auf dem Wagenboden zog, und hob plötzlich den Kopf. »Du mußt doch etwas Gewaltiges sein – oder?«
Er sann über ihre Worte nach. Verlud sie ihn auf eine Mondrakete?
»Oder bist du der Taktstock des Dirigenten?« fuhr sie fort. »Stumm und doch beredt?«
»Was macht dein Junge?« fragte er unbeholfen. Er war betroffen, daß er sich nicht an den Namen entsinnen konnte.
»Parga? Ich wollte ihn ins Heim geben, aber meine Eltern haben protestiert. Nun ist er bei ihnen. Sie werden viel Arbeit mit ihm haben.«
Ihre Eltern? Raiger wußte nichts von ihnen. Was wußte er überhaupt von Djama? Er wußte nicht einmal, wo der Vater des Jungen war, weshalb sie nicht mit ihm zusammen lebte. Das machte ihn befangen. Damals hatte es ihn nicht interessiert, er hatte in Djama nur die Frau gesehen. Wie kam es, daß er sie jetzt ganz kennenlernen wollte?
Sie gingen über den Ponte di Rialto, über den Markusplatz, bewunderten den achtundneunzig Meter hohen Campanile der San Marco, bestiegen dann eine der vielen Motorgondeln und fuhren über den Canale Grande, bogen an einer verkehrsampelbewehrten Kreuzung in das Gewirr der Seitenkanäle ab und legten irgendwo an einem Landungssteg an. Raiger, der Venedig nicht so gut kannte wie Djama, hatte längst die Orientierung verloren. Sie unterhielten sich über alles mögliche, nur von persönlichen Dingen sprachen sie nicht. Djama war munter wie immer, Raiger indessen fühlte sich gehemmt. Schließlich standen sie vor dem Dogenpalast und bewunderten die mit rotem und weißem Marmor belegten Außenwände, die gotischen Kolonnaden und den Säulengang im ersten Stock.
»Gehen wir hinein?« fragte Djama. »Die Wand- und Dekkenmalereien sind von Tintoretto, Veronese…«
»Bummeln wir noch ein bißchen«, sagte Raiger schnell. Nur jetzt nicht durch historische Räume gehen und der gedämpften Stimme eines elektronischen Museumsführers lauschen müssen. Er wollte Djamas Stimme hören.
Auf dem Platz vor dem Palast herrschte

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