Heimkehr der Vorfahren
nicht voraussehen konnten, daß unser Material mit anderen Methoden und unbekannten technischen Mitteln ausgewertet wird. Nun werden wir täglich auf unsere Unkenntnis gestoßen.«
Es wurde immer schwieriger, die gewaltige Ausbeute der Expedition ordnungsgemäß auszuwerten. Zwar war sie katalogisiert und klassifiziert, aber nun kam es darauf an, jedes Stück unter neuen Gesichtspunkten zu analysieren und mit dem irdischen Stand zu vergleichen. Das konnten die Heimkehrer nicht, dazu brauchten sie zeitgenössische Wissenschaftler. Aber auch die Wissenschaftler bedurften der Hilfe jener Männer, die alle diese Dinge in ihrer natürlichen Umwelt und in ihrer Funktion gesehen hatten.
Vena horchte auf. Fühlte Romain sich auch eingeengt? Hielten ihn nur die Disziplin und das Bewußtsein, zur Auswertung verpflichtet zu sein? Hätte sie sich mehr um ihn kümmern müssen? In ihr stiegen Zweifel auf, ob sie ihrer Betreueraufgabe gerecht geworden war. Die Mehrzahl der gemeinsamen Stunden hatte den Belangen der Heimkehrer gehört, und in der übrigen Zeit war Romain damit ausgefüllt, das zu vertiefen, was er in den Unterrichtsstunden gelernt hatte. Nasarow, der völlig in seiner Aufgabe aufging, würde sich der neuen Umwelt erst dann aufschließen, wenn sein Auftrag restlos erfüllt war. Er neigte dazu, sich in Prinzipien zu verlieren. Romain dagegen war nicht etwa prinzipienlos, doch er wandte sich dem Neuen zu; ohne die alte Aufgabe zu vernachlässigen, bereitete er sich doch schon auf die neue vor, ehe die alte abgeschlossen war.
Vena schätzte ihn. Er vermochte in sehr großen Zusammenhängen zu denken und besaß ein sicheres Urteil. »Demnach müssen wir warten, bis die Gegenwart die Genossen zu uns zurücktreibt?« fragte sie ihn.
»Vielleicht fällt uns noch ein Ausweg ein. Auf jeden Fall sollten wir Ihr Programm noch einmal überarbeiten, die Voraussetzungen haben sich ja inzwischen geändert. Es sollte fertig sein, wenn es eines Tages gebraucht wird«, erwiderte er.
Nach der Besprechung schlug sie ihm vor, am Nachmittag einen Ausflug zu machen, ohne festes Ziel. Insgeheim aber beschloß sie, in die Regionshauptstadt mit ihm zu fahren, fünfhundert Kilometer weit, und dort zu bummeln, als wäre Romain ein Mann ihres Jahrhunderts. Er mußte unter Menschen kommen, Menschen des vierundzwanzigsten Jahrhunderts, und das Gefühl haben, er mache Ferien.
Romain stimmte zu. Ihr schien, als läge in seinem Blick mehr als nur sachliches Interesse.
Für fünfzehn Uhr hatte sie sich mit Romain verabredet. Um zwölf ging sie zu Maro, der als stellvertretender Vorsitzender der Kommission in der Siedlung wohnte. Er sah überrascht aus, als Vena zur Tür hereintrat, legte das Buch zur Seite, in dem er gelesen hatte, und erhob sich.
Er rückte ihr einen Sessel zurecht, wartete, bis sie sich niedergelassen hatte, und setzte sich ihr gegenüber.
»Man bekommt dich selten zu Gesicht, Vorsitzende und Betreuerin.«
»Hast recht, Onkel Maro.« Sie tat schuldbewußt. »Oft nur einmal am Tage.«
»Aber nicht privat. Seitdem Pala mit Stafford abgereist ist, bin ich ein armer, verlassener Junggeselle!«
»Du tust mir leid, wirklich«, beteuerte sie. »Hat sich wenigstens Pala bei dir gemeldet?«
»Mit keinem Wort«, erwiderte er. »Also geht alles in Ordnung. Sie hat ja nun ihr Studienobjekt.«
»So sollten wir nicht von den Heimkehrern sprechen«, verwahrte sie sich nachdrücklich.
»Ich sage es ja auch nur mit Palas Worten«, verteidigte er sich lächelnd. »Hast du etwas von Raiger gehört?«
»Kein Wort!« Sie verfiel in seinen Tonfall. »Also ist er zufrieden. Er hat ja auch sein Forschungsobjekt!«
»Das werde ich nie begreifen können«, sagte Maro kopfschüttelnd. »Daß man eine Frau wie dich aufgibt, sang- und klanglos, ohne alles aufzubieten, was man vermag.«
»Sei nicht ungerecht – ich habe ihn verlassen.«
»Wenn ihm an dir läge, würde er Verbindung halten. Es könnte doch geschehen, daß du ihn vergißt.«
»Tatsächlich«, sagte sie. »Vielleicht bin ich schon auf dem Wege dahin.«
»Ich wäre froh darüber, Vena…«Er sagte es mit warmer Stimme.
Sie sah ihn erschrocken an. Hatte er das etwa auf sich bezogen?
»Vena, du weißt, daß ich deine Mutter liebte und daß du…«
Sie fiel ihm ins Wort: »… daß ich auf deinen Knien geritten bin, als ich noch nicht laufen konnte. Du warst mir immer wie ein Vater, Onkel Maro, deshalb komme ich zu dir. Weißt du noch, wie ich dir meine erste Liebe beichtete?«
Wenn Maro geglaubt
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