Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
seiner Frau, sobald sie sich Sorgen um die Zukunft machte, »wahrhaftig keinen besseren Zeitpunkt finden können, um arbeitslos zu sein. Für das, was ich als Drucker in der Lohntüte hätte, könnte ich uns eventuell ein Kilo Butter kaufen, aber kein ordentliches Stück Seil, um mich aufzuhängen. Unser Vaterland hat den Tauschhandel wieder eingeführt. Und den Schwarzmarkt.«
    Im Tauschhandel war Hans Dietz Meister. Er versäumte keine Gelegenheit, um an Nahrung, Kohle, Holz, Kleidung und alte Wehrmachtshelme zu kommen. Die ließ er bei einem alten Kumpel zu Kochtöpfen, Sieben und Besteck umarbeiten und hatte schnell einen festen Kreis von Abnehmern. Kein Geschäft war ihm zu gewagt, kein Einfall zu ausgefallen. Die Geflügelschere und der rostige Fleischwolf aus der Küche seiner in den Dreißigerjahren verstorbenen Mutter brachten ein Stück Kernseife, zehn Feuersteine und ein Töpfchen Schmalz. Für Erwins alte Kinderwiege gab es ein Viertelpfund Tee und für den beglückten Hausherrn kaum gebrauchte Krücken in passender Größe. Aus der schönen Tortenplatte – sie stammte noch aus der Rothschildallee – wurden zwei Rollen Nähgarn, vier Stopfnadeln und genug weinrote Wolle für zwei Kinderpullover und zwei Paar Kniestrümpfe.
    »Wozu brauchen wir eine Tortenplatte, wenn wir keine Torten mehr haben?«, tröstete sich Anna. Sie trennte sich auch von den großen, quadratischen Perlmuttknöpfen in ihrem Nähkorb, eine geliebte Erinnerung an die Posamenterie ihres Vaters in der Hasengasse. Vier Stunden später kam ihr Mann mit einem himmelblauen Kleiderstoff nach Hause. »Absolute Friedensqualität«, freute er sich. »Die Frau, die ihn mir verkauft hat, wollte mir zum Beweis die Quittung vom Kaufhaus Wronker geben.«
    »Du lieber Gott, was hast du denn da gesagt?«
    »Ich hab abgelehnt. Und wütend um mich geguckt. Wronker war ein jüdisches Kaufhaus, hab ich gesagt, und anständige Deutsche durften nicht bei Juden kaufen. Du hättest ihr Gesicht sehen sollen! Auf so ein Gesicht habe ich jahrelang gewartet.«
    Sein Fahrrad, das er mit nur einem Bein nicht mehr fahren konnte, verkaufte Hans in Einzelteilen. Die beiden Reifen samt Pumpe erbrachten einen Zentner Briketts, die Fahrradkette ein Pfund Schmalz. Aus dem Lenker wurde ein Wintermantel für Anna – frisch gewendet und von ihr mit dem Rest einer grünen Gardine verlängert. Weihnachten sollte aus dem Fahrradsattel ein Stallhase werden.
    »Vielleicht auch Mehl für einen Kuchen. Den Königskuchen, den Josepha immer zu Feiertagen gebacken hat«, träumte Anna. »Die Rosinen denken wir uns dazu. Und das Zitronat auch.«
    »So weit kommt’s noch, dass die Gattin eines Kriegshelden auf Zitronat beißen muss, das sie nicht hat. Und dass unsere Kinder nicht wissen, was Rosinen sind.«
    Der größte Coup gelang Hans, ohne dass er ein Tauschobjekt hergeben musste. Er hielt Kontakt zu einem Kollegen aus der Zeit beim »Generalanzeiger«, und der hatte seinerseits Beziehungen zum neu ernannten Frankfurter Theaterintendanten Toni Impekoven. So kam Hans trotz der riesigen Konkurrenz von Bürgern, die ebenso nach Kultur hungerten wie nach Brot, zu einer der hoch begehrten Karten für den 3. November. Es war der Tag, da die Frankfurter Städtischen Bühnen, die bisher im Sendesaal des Rundfunks hatten spielen müssen, in den Börsensaal umziehen sollten. Hans war der Titel des Eröffnungsabends »Frankfurt soll lewe« wie eine persönliche Botschaft erschienen.
    »Für unsere Fanny«, sagte er, als er die Karte aus seiner Jacke zog.
    »Ich hab nicht gedacht, dass ich es schaffe. Die Leute sind ja komplett verrückt nach Theater.«
    »Das waren sie immer«, wusste Anna. Sie dachte an Victoria, die noch trotz der Gefahr, die den Juden dort drohte, 1937 im Schutz der Dunkelheit zu den Festspielen auf dem Römerberg geschlichen war.
    »Wir müssen dich nur noch mit einem Kilo Briketts ausstatten, Fanny. Mein Kumpel hat gesagt, das sei ganz wichtig.«
    Fanny starrte das Billett auf dem Küchentisch an. Wie immer, wenn sie verlegen war, kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. »Sind dort viele Leute?«, fragte sie schließlich. »Ich meine, was muss ich denn in so einem Theater tun?«
    »Lachen«, sagte Anna, »dich einfach freuen an dem, was du siehst. Und wenn es dir gefällt, klatschst du in die Hände. Frag Sophie, wie das geht.«
    Theater zu beschreiben fiel ihr schwer. Ihr fehlten die Worte, und ihr fehlten die Erinnerungen; nur die Traurigkeit und der stechende

Weitere Kostenlose Bücher