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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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»Armeleutefraß« genannt und geschworen: »Das Zeugs kommt nur über meine Leiche ins Haus.«
    Hans hatte oft und immer vergeblich nach Josepha gesucht – sie wurde auf keinem der infrage kommenden Ämter geführt. Anna überlegte, wie alt Josepha sein mochte, falls sie den Krieg überlebt hatte, und ob sie wohl wusste, dass Johann Isidor, Betsy, Victoria und Salo in den Osten deportiert worden waren. Es fiel Anna schwer, an Josepha zu denken und zu gleicher Zeit den Küchentisch für das Frühstück zu decken. Lustlos holte sie die rot-weiß gepunkteten Eierbecher aus dem Schrank, aus der Schublade die vornehmen Hornlöffel, die aus Claras Haushalt stammten und von denen sie bei der Auswanderung gesagt hatte, den Hühnern in Palästina wäre es gleichgültig, ob man ihre Eier mit Hornlöffel aß oder mit der Hand. »Scheißegal«, hatte Clara gesagt, Fanny das ihr fremde Wort sofort ausprobiert.
    Als Anna den fünften Hornlöffel vor Sophies Teller legte, kehrte sie in die Gegenwart zurück. Ihr fiel ein, dass nur noch ein einziges Ei im Haus war und dass es seit zwei Jahren im Hause Dietz sonntags keine Eier mehr zum Frühstück gab. »Ein Ei für fünf Personen«, grämte sie sich. Sie stellte Eierbecher und Löffel zurück in den Schrank und nahm sich vor, in der kommenden Woche aus den nie benutzten Frotteehandtüchern, die sie für besondere Gelegenheiten geschont hatte, Unterwäsche für die beiden Kleinen zu nähen. Auch wollte sie versuchen, endlich an Mehl und Backaroma für die Weihnachtsplätzchen zu kommen. Den Friseurbesuch hatte Anna gestrichen. Friseur Obermüller verlangte für Wasserwellen und Schneiden zwei Briketts und fünf Feuersteine. Hans, der die Feuersteine, die er auf dem Schwarzmarkt auftrieb, hütete wie früher sein silbernes Zigarettenetui, hatte gedroht, den »schlauen Herrn Obermüller« öffentlich einen »Halsabschneider und Erznazi« zu nennen. »Ich hab gesehen, wie er am 9. November im Sandweg Silber und Porzellan aus einer jüdischen Wohnung geschleppt hat.«
    Beim Gedanken an die Beute von Friseur Obermüller fiel Anna das Limoges-Service von Betsy ein und dass sämtliches Geschirr sowie das Tafelsilber und die beiden Sabbatleuchter der Pforzheimer Großmutter in der Rothschildallee zurückgeblieben waren, als die Sternbergs ins »Judenhaus« hatten ziehen müssen. Sie hatte das Bedürfnis, die Küche abzudunkeln, sich mit einem feuchten Tuch auf der Stirn an den Ofen zu setzen und ausschließlich an Zimtaroma und Lebkuchen zu denken, doch sie schüttelte ihren Kopf frei und ging zur Tür. Auf Zehenspitzen schlich sie zum Schlafzimmer. Sonntags blieb Hans meist bis neun Uhr im Bett. Er sagte, das erinnere ihn an die Vorkriegssonntage mit zwei Beinen und gefülltem Schweinebraten mit Kartoffelklößen.
    Am Morgen des 4. November kam er nicht mehr dazu, vom Sonntagsessen zu träumen. Er schlief noch, als Anna die Gardine zurückzog; sein Gesicht war entspannt, die Hände auf der Brust gefaltet. Auf der Bettdecke lag ein Stück Packpapier, beschrieben mit seiner steilen Druckschrift. »Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben«, las Anna. Die Worte stammten, wie Hans ihr später erklärte, von einem Juristen namens Gustav W. Heinemann. Er hatte sich im Namen der evangelischen Christen zur Mitverantwortung der Kirche für die Untaten der Nazis bekannt. Anna glättete das Papier und legte es auf den Nachttisch. Die Zärtlichkeit und die Bewunderung, die sie für ihren Mann empfand, wärmten sie. Es war zehn Minuten nach sieben.
    »In der Gagernstraße«, erinnerte sich Hans, als er wach genug war, um in voller Tragweite zu begreifen, was seine Frau so sehr bewegte, »war bis 1942 noch das jüdische Krankenhaus. Im September und Oktober haben die Nazis dann das Haus geräumt und alle, die noch da waren, deportiert – Ärzte, Schwestern und Patienten, egal ob die Kranken laufen konnten oder nicht, egal ob es Kinder oder Greise waren, die sie in den Tod schickten. Von einem alten Kumpel, der mit mir in Dachau gewesen ist und der in der Maximilianstraße wohnt und alles von seinem Wohnzimmerfenster aus mitbekommen hat, habe ich das bereits damals in allen schrecklichen Einzelheiten erfahren. Aber ich hab es nicht fertiggebracht, dir davon zu erzählen. Soviel ich weiß, hatten die Nazis im Sinn, aus der ganzen Anlage ein so genanntes Krankenhaus Ost zu schaffen. Gott war aber ausnahmsweise

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