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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Lebensroute reichte Fritz und Fanny die Gewissheit, dass er wieder Vater sein durfte und sie Tochter; bereits am nächsten Morgen gelang es beiden, einander anzuschauen, ohne dass sie fürchteten, das Schicksal halte sie zum Narren. »Ich kann es immer noch nicht glauben«, hatte Fanny geflüstert. Sie wollte ihrem Vater sagen, dass sie ihren Bruder nicht vergessen hatte und schon gar nicht ihre Mutter, doch es gelang ihr nicht, von denen zu sprechen, die die Mörder im grauen Todesnebel zur Frankfurter Großmarkthalle getrieben hatten. »Anna«, schluckte sie, »hat mich rausgezogen. Sie war schwanger. Mit Sophie.«
    »Ich weiß, ich werde es immer wissen.«
    »Sie hat mir auf der Straße den Mantel ausgezogen. Den mit dem Stern. Weißt du, dass Juden in Deutschland einen Stern auf ihre Kleider nähen mussten? Damit man uns erkennen konnte. Einen gelben Stern.«
    »In Holland war es genauso.«
    »Meinst du, man kann so was vergessen?«
    »Hoffentlich nicht. Die Toten vergessen zu wollen war schon immer eine Sünde.«
    »Ich meinte das, was sie uns angetan haben.«
    »Wir können uns nicht aussuchen, was wir vergessen wollen, Fanny.«
    Am dritten Tag sagte Betsy: »Auch dem Glücklichsten schlägt die Stunde. Ehe wir uns versehen, muss Fritz zurück nach Nürnberg. Warum geht ihr zwei nicht mal in den Zoo? Der ist ja um die Ecke, und ihr könnt richtig allein miteinander sein. Ihr könnt euch all das erzählen, was nur für vier Ohren bestimmt ist. Es gibt dort auch Bänke, hab ich neulich festgestellt, schöne altmodische Bänke wie früher, als die Leute nicht sofort an ihren Ofen oder an ihren Küchenherd dachten, wenn sie eine Bank sahen.«
    »Sag nur, dass es schon wieder einen Zoo in Frankfurt gibt. Wo in aller Welt kriegen die Leute denn das Futter für die Tiere her, wenn das ganze Land hungert? Ich hätte gedacht, dass man in Deutschland eher Löwen schlachtet, als sie zu füttern.«
    »Keine Sorge«, hatte Hans erklärt, »im Frankfurter Zoo wird keinem Tier ein Haar gekrümmt, doch leider sind so gut wie keine Tiere mehr da.«
    So saßen Vater und Tochter auf einer Bank vor dem ehemaligen Löwengehege, in dem ein allerliebstes Löwenkind aus Plüsch auf einem blauen Kissen aus goldgelben Glasaugen in die Sonne schaute. Ein weißer Papierbogen mit einem Rahmen aus schwarzem Isolierband erinnerte an die beiden Löwen, die bei dem letzten großen Bombenangriff auf Frankfurt umgekommen waren. Von der Bank hatten Holzdiebe die Lehne abgesägt, und eine Narrenhand hatte mit einem Messer »Alles Kacke!« auf die Sitzfläche geritzt, aber solcher Pessimismus entsprach an dem warmen Maitag nicht der Stimmung. Das Gras um den Teich war kräftig, die Blumen blühten sommerrot, kornblumenblau und zitronengelb. Primeln am Weg, Veilchen und Vergissmeinnicht hießen selbst die Verzweifelten hoffen. Bäume und Sträucher dufteten, als wäre die Stadt nicht tausend Tode gestorben; die Bienen und Schmetterlinge verstanden es noch immer, die Botschaften des Lebens zu entschlüsseln. Eine butterblumengelbe Sonne schaute aus leichten Wolkenstores hervor. Sie bestrahlte müde Knochen und verwundete Seelen. Menschen, die sich plagten, Fragebogen auszufüllen und dabei ihre Nazivergangenheit zu verschleiern, gaukelte die Sonne vor, das große Vergessen und die große Vergebung seien nur eine Frage von Energie und Zeit. Weil die Vögel im Bombenkrieg weder ihre Habe noch ihre Würde und Zuversicht verloren hatten, bauten sie Nester und zirpten Zukunftslieder.
    »Hast du mir als Kind nicht ›Die Vögel wollten Hochzeit halten‹ vorgesungen?«
    »In dem grünen Walde. Mein Gott, Fanny, dass du das noch weißt! Es ist ein Leben her.«
    »Ich bin ja erst fünfzehn. Vielleicht erinnert man sich da noch besser als später.«
    Es gab im Zoo handbetriebene Karussells mit weißen Rössern vor vergoldeten Kutschen, altmodische Schiffsschaukeln, die von Männern im Unterhemd angeschoben wurden, Losbuden und einen Dosenwurfstand. Man konnte bunte Papierblumen und Tütchen mit Brauseersatz gewinnen – im Glücksfall ein leeres Einweckglas, einen hölzernen Kochlöffel oder einen Becher, der vor Kurzem noch ein Stahlhelm gewesen war. Für junge Burschen, die auch in Mangelzeiten ihre Muskeln trainierten, um den Mädchen zu imponieren, war ein Hauden-Lukas da – auf der Spitze der betagten Kraftprüfungsmaschine thronte ein beleibter Seemann im Ringelhemd und mit Admiralsmütze. Der Zirkus Helene Hoppe gastierte mit zwei Vorstellungen

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