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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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täglich. Er warb mit einem farbenfrohen Plakat, das achthundert Tiere ankündigte. Wenn sie davorstanden, bestaunten die Frankfurter eine lächelnde Giraffe und einen geschmückten Elefanten, auf dem ein rot gekleideter Edelmann aus dem Morgenland saß.
    »Ich reite auch auf einem Elefanten«, entschied ein sechsjähriger Knabe mit spindeldürren Beinen und narbenroten Händen. Er trug eine tintenbeschmierte Lederhose, die groß genug war, um ihm noch in drei Jahren zu passen.
    »Wenn Papa kommt«, versprach die Mutter.
    »Du sagst immer ›wenn Papa kommt‹, wenn ich mir was wünsche. Der Willi sagt, Papa ist tot. Mausetot, sagt Willi.«
    »Willi bekommt heute Abend eine Tracht Prügel, die sich gewaschen hat. Das nächste Mal überlegt er’s sich, ob er so von seinem Vater spricht.«
    Im Zoo wurde auch Theater und Operette gespielt. Schauspieler hatten in Abgründe geblickt, nun hatten sie Träume statt Brot, doch ihre Augen lebten und ihre Stimmen wussten zu ergreifen. Sie rezitierten Gedichte, die trotz der Menschheitskatastrophe im Gedächtnis des Publikums geblieben waren, und die Texte, die sie lasen, kündeten von Glaube, Liebe und Hoffnung.
    »Ich hab im Börsensaal den ›Gärtner von Toulouse‹ von Georg Kaiser gesehen«, erzählte Fanny, »und von Thornton Wilder ›Unsere kleine Stadt‹. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, so hat mich das Stück aufgeregt. Hast du schon mal von Thornton Wilder gehört?«
    »Ehrlich gesagt, nein.«
    »Der ist Amerikaner. Er hat noch ein Stück geschrieben. ›Wir sind noch einmal davongekommen‹ heißt es. Das würd ich für mein Leben gern sehen, aber unser Deutschlehrer sagt, sie spielen es nur in Darmstadt. Ach, am liebsten würde ich jeden Tag ins Theater gehen. Ich weiß auch nicht, warum.«
    »Ich schon«, sagte Fritz. Er kaute schwer an einem Seufzer, als Victoria erschien, dachte an die Tragödie seiner Ehe und seines Lebens und dass er seinen Zorn nie würde löschen können. Vicky war von ihrem Traum nie losgekommen, sämtliche Heldinnen der Bühnengeschichte zu spielen. Noch in ihrer zweiten Schwangerschaft hatte sie mit einer Nelke im Haar vor dem Spiegel mit dem Goldrahmen gestanden und Hamlets Ophelia geprobt. Würde Fritz je mit Fanny über ihre Mutter sprechen können, ohne dass sein Herz verglühte? Es gab kaum eine Nacht, in der er sich nicht richtete, weil er nicht energisch genug versucht hatte, Victoria ihre Illusionen auszureden.
    »In der Schule lesen wir Wilhelm Tell. Das ist alles ganz neu für mich. Ich hab noch nie ein Theaterstück gelesen. Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen. Ich finde das wunderschön.«
    »Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten«, fiel Fritz ein, »das war immer mein Lieblingszitat. Ich kann gar nicht fassen, dass ich es noch im Kopf hab. Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.«
    »Deutsch ist das einzige Fach, das mir Freude macht. Da komme ich mir nicht so vor, als hätte ich auf dem Mond gelebt und müsste mich dafür entschuldigen.«
    »Würdest du eines Tages vielleicht selbst auf der Bühne stehen wollen?«
    »Bloß das nicht. Ich kann gar nicht verstehen, wie einer überhaupt auf die Idee kommt, Schauspieler zu werden. Ich stelle es mir fürchterlich vor, wenn mich alle anstarren. Du hast ja Tränen in den Augen. Hab ich was Falsches gesagt?«
    »Im Gegenteil. Du hast etwas Wunderbares gesagt, außerdem weißt du gar nicht, wie man etwas Falsches sagt. Das ist mir sofort an dir aufgefallen.«
    Mütter schoben abgenutzte Kinderwagen mit eiernden Rädern, doch mit blitzsauberen Kissen und kleinen Federbetten in feinen Bezügen. Babys in Häkelmützen nuckelten an Schnullern aus Friedenszeiten, die schon ihre Geschwister beruhigt hatten. »Die sehen alle aus, als würde Mami sie durch das Land von Milch und Honig rollen«, fand Fritz.
    »Mir wären Erdbeeren mit Schlagsahne lieber«, malte sich Fanny aus. »Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal eine Erdbeere gegessen habe.«
    »Heute«, versprach ihr Vater. »Wenigstens als Erdbeereis. Wenn wir in den PX gehen, um Anna die Bratpfanne zu kaufen, die nie rostet, wirst du dein blaues Wunder erleben. Nein, ein rotes. Erdbeeren sind ja rot. Die Amerikaner haben nicht nur den Blitzableiter, die Glühbirne und den Revolver erfunden. Sie machen herrliches Eis. Du darfst so viel essen, bis dir schlecht wird.«
    »Muss das schön sein, wenn einem vom vielen Essen schlecht wird! Mir ist das noch nie

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